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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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und ferneren Umgebung jedes Mädchen kannte, jede Tanzveranstaltung, jeden Fiedler. Es war die große Zeit des Swings in Texas, und an den Samstagabenden fuhr Ace an die hundert Meilen, um in Scheunen, Tanzpalästen oder Tanzschuppen Billy Briggs und seine XIT Boys, Rip Ramsay und die Texas Wanderers, die Lone Star Playboys, Dud Adams und die K-Bar Ranch Hands zuhören. In jenen Tagen gab es großartige Gruppen, Shorty Bates und seine Texas Saddle Pals. Oft schlief Ace im Wagen, in den Ohren noch den Rhythmus von Rattle Snake Daddy oder Motel Blues .
    Eines Abends lernte er Valentine Eckenstein kennen, genannt Vollie, die großbusige mittlere Tochter eines deutschstämmigen Weizenfarmers aus Twospot. Sie arbeitete bei der Lebensmittelausgabe der staatlichen Wohlfahrtsbehörde, wo sie für bedürftige Familien Kartons mit Grundnahrungsmitteln packte, doch ihr größtes Vergnügen waren die Tanzabende, genau wie bei Ace. Sie war leichte Beute für die Musiker auf der Bühne, denn sie stand am Bühnenrand, starrte sie hingerissen an und sang: »Old Tascosa und Can-AY-diun, daa-da-daa-dadaa.«
    Sie war nicht hübsch, doch ihr Gesicht mit den starken Knochen und dem wohlgeformten Mund und die braunen Augen unter den geraden, schmalen Brauen strahlten Frische aus. Außerdem waren ihre Züge symmetrisch, völlig ausgewogen, was ihnen eine gewisse dauerhafte Schönheit verlieh. Diese physische Symmetrie genügte Ace, der als Windradbauer eine Schwäche für Ausgewogenheit hatte. Vollies Haar war dicht und lockig und karamelfarben, und sie bändigte es unter einer Baskenmütze. Sie war stark und hatte ein gutmütiges Lachen. Sie hatte Humor und Sinn für die unfreiwillige Komik des Lebens. Nach zwei Monaten Banjo Boogie und Holes in My Soles wurde Ace ihren Eltern auf der Farm vorgestellt.
    Der alte Eckenstein war nicht der von Ace befürchtete aggressive deutsche Grobian, der jedes seiner Worte für eines der Zehn Gebote hielt, sondern gehörte zu denen, die Erdnüsse in die Luft warfen und mit dem Mund auffingen. Von ihm hatte Vollie ihr strahlendes Lächeln geerbt. Der alte Mann begrüßte Ace jovial und beinahe erleichtert. Vollies Mutter, die typische verblühte Farmersgattin mittleren Alters, trug eine drahtgefaßte Brille, deren Gläser immer wieder herausfielen und fürgewaltigen Aufruhr sorgten, bis sie gefunden und eingesetzt waren, und sie bedachte Ace mit zweifelnden Blicken. Er hätte sie gern gefragt, was sie störe, doch ein Instinkt hielt ihn davon ab.
    Die Familie liebte Eiscreme, und an Sonntagnachmittagen wurde Obst aufgeschnitten oder ein Glas Erdbeeren aus dem Kartoffelkeller geholt, mit Sahne und Zucker vermischt, in das Salz gesetzt, und alle wechselten sich beim Kurbeln an der Eismaschine ab. Während Ace Vollie den Hof machte, nahm er zwei Kilo zu.
    Mit den anderen Töchtern verstand Ace sich gut: Maxine, die älteste, trug stets Georgettekleider und hochhackige Pumps, wie es ihrer Stellung als zweiter stellvertretender Stadtsekretärin entsprach; Honey, ziemlich dick und mit seidigen Zöpfen, war eine hervorragende Brotbäckerin; und Hilda, die jüngste, ein reizloses Geschöpf mit blonden Wimpern und einem verkniffenen Mund, wollte unbedingt Fliegerin werden und ließ Eckenstein keine Ruhe mit ihrem Wunsch, bei Rupert Bayliss Rigg fliegen zu lernen, einem wahren Teufelskerl, der Pestizide mit dem Flugzeug ausbrachte. Auch ein Kleinkind gab es in der Familie, die kleine Emily mit glattem schwarzem Haar und einem grämlichen Elfengesicht. Ace nahm an, daß Mrs. Eckenstein das Kind für irgend jemanden hütete. Erst nachdem er und Vollie 1939 in der winzigen steinernen lutherischen Kirche von Twospot geheiratet hatten, erfuhr er von ihr, daß ihre Schwester Maxine die Mutter und das Baby das unvorhergesehene Ergebnis eines Fehltritts war.
    Im September 1939 brach in Europa Krieg aus. Ace hielt es für unvermeidlich, daß die Vereinigten Staaten sich daran beteiligten. Habakuk sagte, es würde schwierig werden, an Windradteile aus Stahl zu gelangen, falls das geschah, und deshalb begannen sie in ihrer großen Lagerhalle Getriebe, Streben, Mastköpfe, Rotorblätter zu horten. Roosevelt verlegte das Datumfür Thanksgiving auf den vierten Donnerstag des Monats in der Überzeugung, mehr Einkaufstage vor Weihnachten würden der Wirtschaft zugute kommen. In den Läden sah man die neuen flackernden Lichtröhren, die mit Neongas gefüllt waren und besser und billiger sein sollten als Glühbirnen.

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