Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
Vom Netzwerk:
Kunstzeitschrift hatte ihn auf dem Umschlag. Ich habe sie irgendwo, aber ich würde sie jetzt nicht finden, selbst wenn Sie mit der Viehpeitsche hinter mir her wären.«
    »Das würde ich mich nicht mal im Traum unterstehen«, murmelte Bob.
    »Zuerst wurden sie zum Jahreswechsel verlost, an Silvester. Das war früher der größte Feiertag in Woolybucket County. Für die Deutschen war Silvester immer ein Riesenfest. Aber jetzt wird er dann verlost, wenn wir ihn fertig haben. Der, an dem wir gerade arbeiten, muß bis Juni fertig sein. Er soll beim Stacheldrahtfest verlost werden. Eigenlob stinkt zwar, aber unsere Quilts sind wunderschön. Wir haben das Glück, Frauen unter uns zu haben, die mit so feinen, gleichmäßigen Stichen nähen können, daß es kaum zu glauben ist, fast nicht zu erkennen, und mit dem dünnsten Seidengarn. Apropos, ich muß die Kiste mit dem Seidengarn aus dem Hinterzimmer holen. Ach, hier ist die Zeitschrift, von der ich dachte, ich hätte sie verräumt, Art in America , komischer Name für eine Zeitschrift. Ich bin gleich wieder da. « Sie verschwand in die kleinen Räume hinten im Haus.
    Bob schaute den Quilt auf der Umschlagseite an. Selbst er konnte sehen, daß es sich um ein einzigartiges Werk der Näh-, Stick- und Applizierkunst handelte. In der Mitte des Paradieses stand ein prachtvoller Apfelbaum voller schimmernderSatinäpfel, in dessen Zweigen sich eine riesige rhombengemusterte Klapperschlange wand, deren Zunge aus winzigen schwarzen Perlen zu züngeln schien. Auf dem kakaofarbenen Boden wuchsen Sombreroastern, Prärieastern und Goldastern, und purpurfarbene Erdkirschen umwucherten zwei Felshöcker. Adam war nackt bis auf Cowboystiefel und einen Hut, den er sich vor die Scham hielt. Er war über und über mit lockiger schwarzer Behaarung bestickt. Eva, die fröhlich mit der Schlange plauderte, stand mit dem Rücken zum Betrachter und zeigte längliche rosa Pobacken. Sie trug ein Armband mit Amuletten, die alle deutlich erkennbar waren, eines sogar in Form des Staates Texas, wie Bob feststellte. Auf dem Boden lag ein Apfelbutzen.
    »Adam sieht ganz schön behaart aus«, rief Bob zu LaVon ins Nebenzimmer.
    »Ja, Modell für ihn war Cy Frease, der jetzt das Old Dog betreibt, aber damals bloß ein Cowboy war. Ich weiß nicht mehr, wer die Idee hatte, Adam so behaart zu machen, aber wir fanden es genau richtig. Und Cy ist sicher der mit Abstand behaarteste Mann im ganzen Land. Ich würde dort keinen Bissen runterbringen. Man muß doch ständig damit rechnen, eines von seinen Haaren in der Sauce schwimmen zu sehen.«
    LaVon kam zurück und schüttelte eine Holzkiste. »Den zweiten Quilt hat Doll McJunkin gewonnen, der die Post austrägt, Sie wissen schon, und er hat ihn für tausend Dollar an das Texas Christian Museum in Wichita Falls verkauft. Ich glaube, Jonas und der Wal waren darauf. Ich erinnere mich an das Walauge, klitzeklein wie ein Melonenkern. Es war ein alter Jettknopf, den Freda Beautyrooms in ihrem Nähkasten gefunden hatte. Früher gab es wirklich schöne Knöpfe. Ich kann verstehen, daß Leute so was sammeln. Der Wal taucht weg und füllt den ganzen Quilt aus. Von Jonas sind nur die Beine zu sehen, die dem Leviathan aus dem Maul ragen. Andere Gemeinden haben versucht, ähnliche Quilts zu machen, vor allemdie Missionsbaptisten, aber ihnen fehlt das Know-how. Sie haben nicht das richtige Gespür dafür. Verglichen mit unseren Quilts sind die von denen regelrechte Fußabtreter.«
    »Welches Thema haben Sie dieses Jahr?« fragte Bob.
    »Dieses Jahr ist es Kain, der Abel tötet. Warten Sie, bis Sie es zu sehen kriegen.«
    Um Punkt ein Uhr fuhr der erste Kleinlaster vor, ein betagter grauer Ford aus den späten vierziger Jahren. Zwei weißhaarige Frauen mit kreuzstichverzierten Handarbeitstaschen an Holzgriffen eilten zur Eingangstür. Die Fahrerin kletterte umständlich und unter Zuhilfenahme einer Krücke vom Fahrersitz. Alle drei trugen wadenlange geblümte Kleider, und als der Wind ihre Röcke bauschte, sahen sie aus wie gealterte Botticelli-Grazien (Panhandle-Version).
    Kaum hatten sie LaVons neuen kobaltblauen Dreifuß mit Fleur-de-lys-Muster bewundert, als zwei Jeeps vorfuhren und jeweils mehrere Frauen ausspuckten. Die Fahrer manövrierten die Wagen in die Nähe eines Viehgeheges, stiegen aus und lehnten sich an das Geländer. Einer zündete sich eine Zigarette an. Innerhalb einer Viertelstunde hatte sich das Haus mit Frauen gefüllt, fast alle älter oder mittleren

Weitere Kostenlose Bücher