Mitten in Amerika
erklärt«, sagte Bob und spürte, daß sein Gesicht vor Scham erglühte, weil er aufgefallen war. Und dann stockte ihm der Atem, denn an dem dunkelblauen gepunkteten Kleid der alten Dame steckte die atemberaubendste Brosche, die er je zu sehen bekommen hatte. Aus Plastik. Für diese Brosche wäre Onkel Tam zu jeder Untat bereit.
»Bring ihn nicht in Verlegenheit, Freda«, warf LaVon ein. »Sonst geht er nach draußen zu den anderen Dummköpfen, um zu rauchen und Kautabak zu kauen und sich wie ein Dummkopf aufzuführen. Ich habe ihn rausschauen sehen.«
»Junger Mann, ich bin dreiundneunzig Jahre alt, und ich habe mehr miterlebt, als Sie sich vorstellen können. Ich bin 1907 in Roughbug geboren. Und ich habe kein Interesse daran, mit dem Computer umgehen zu lernen. Ich hatte als junges Mädchen sieben Jahre lang Klavierunterricht, das genügt mir. «
»Ich interessiere mich auch nicht besonders für Computer«, sagte Bob, der seinen Stuhl verschob, um ihre Brosche besser betrachten zu können.
LaVon sagte: »Roughbug gibt es nicht mehr, Bob. Da war früher schwer was los. Es lag sechzehn oder achtzehn Meilenvon Woolybucket entfernt und war in den alten Zeiten voll mit Viehleuten und Cowboys, aber als die Eisenbahn dort keine Station baute, war es mit dem Leben von einem auf den anderen Tag vorbei, und es wurde zur Geisterstadt. Und dann kam der reiche alte Holländer, der früher als Windradmonteur für die Cutaway Ranch gearbeitet hat, und kaufte die ganze Stadt als Ranchland auf und bohrte nach Wasser und stieß auf Öl. Zuerst waren die Cowboys dagewesen, dann die Farmer, und als der Holländer auf seine Ölquelle stieß, da kamen die Bohrarbeiter und Spieler und Bankräuber und Mörder und illegalen Schnapsbrenner, alle miteinander, ein richtiger Sündenpfuhl. Schlimmer als Wink oder Borger. Ich weiß noch, wie ölig alles immer war. Nahm man einen Teller in die Hand – ölig, Türknauf – ölig, Windschutzscheibe – ölig. Und überall dieser Geruch von Schwefel und Öl und Abfällen und Schnaps. Schienbeineichen und Sand, mehr gab es nicht, und Unmengen Autos und Pferde und Fußgänger, bei Regen bis zu den Knöcheln im Schlamm, bei trockenem Wetter im Staub. Wurde eine regelrechte Ölboomstadt. Und Damen der lichtscheuen Art gab es auch. Prostituierte, frech wie noch was. Die ließen sich beim Friseur die Haare machen, und wenn danach eine anständige christliche Frau kam, mußte der Friseur den Sessel, auf dem die andere gesessen hatte, mit Zeitungspapier auslegen, denn sonst wäre die Christliche nicht geblieben. Woody Guthrie hat eine Zeitlang dort gelebt – damals soll er das Lied Throwed the Old Man’s Shoes in the Broomcorn geschrieben haben. Und eines schönen Tages hat ein Wirbelsturm die ganze Stadt weggefegt. Am nächsten Morgen war nichts mehr da, was an eine Stadt erinnert hätte. Alles weg. Die Leute sagten, das wäre der Zorn Gottes gewesen.«
»Dieser Woody Guthrie war ein Kommunist«, murmelte jemand.
Freda Beautyrooms sah zu LaVon hinüber. »Von Roughbug blieb nichts übrig. Aber der Holländer hatte damals fast alles Ölgefördert, und er hat weiter in Saus und Braus gelebt. Hatte eine große Ranch bei Amarillo und ein Haus in Dallas. Ja, Roughbug war zu seiner Zeit ein fideles Fleckchen. Samstags nachmittags kamen die Cowboys von der alten Box Three Ranch, und dann war der Teufel rund. Wally Snow war der Vorarbeiter.«
»War das nicht der, der sich mit der Axt rasiert hat? Das hat meine Mutter immer erzählt.« Babe Vanderslice sah die anderen an in der Hoffnung, daß sich noch jemand erinnerte. Auch sie war mit einem Kaktus beschäftigt und nähte zierliche Stacheln mit einzelnen Stichen.
»Bob«, sagte LaVon, »unsere Babe ist die Starreporterin des Banner . Ihr entgeht nichts.«
»Das war er. Eitel wie ein Pfau. Hat auch gedichtet. Pferdegedichte und Geschmalze über Sonnenuntergänge. Wenn man ihm zuhörte, kriegte man die Gänsehaut. Er hatte eine Stimme wie eine Frau. Ein Pferd soll ihm gegen den Adamsapfel getreten haben, als er ein Junge war. Manche behaupten, es hätte ihn weiter unten getroffen.«
»Waren das nicht die Box-Three-Cowboys, die sich vorgenommen hatten, alle auf einmal zu heiraten? Die Bräute haben sie sich bei einer dieser Heiratsvermittlungszeitschriften bestellt, die es damals gab, und P. G. Reynolds, der den Postverkehr betrieb, hat sie ihnen zum Sondertarif zugestellt. Meine Mutter hat das oft erzählt. Vierzehn oder fünfzehn Frauen kamen in drei
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