Mitten in der Nacht
ans Fenster.
Er sah, wie sie es sah, die Reiter, die sich zwischen den großen Eichen auf der Allee näherten. Er spürte genau den Sprung, den ihr Herz machte, als ihre Augen an dem Mann haften blieben, der den glänzenden Fuchs ritt. Sein Haar war golden und wehend, als er galoppierte. Aufrecht wie ein Soldat saß er im Sattel, mit einem grauen Mantel über seinen breiten Schultern und glänzenden schwarzen Stiefeln.
Ihre Hand fuhr an ihren Hals, und sie dachte glasklar: Hier kommt der Prinz heim auf sein Schloss.
Sie seufzte, wie Mädchen seufzen, wenn sie sich töricht verlieben. Er lächelte, als lächelte er ihr zu, aber sie wusste, dass der Anblick des Hauses sein Gesicht mit Freude erfüllte.
Mit Herzklopfen eilte sie aus dem Zimmer, zurück durch die Dienstbotentür und in das Labyrinth.
Der junge Herr ist zu Hause, dachte sie. Und fragte sich, was wohl als Nächstes geschähe.
Declan wurde abrupt wach. Es war dunkel und es war kalt. Er roch Feuchtigkeit und Staub und spürte das harte Holz des Fußbodens unter sich.
»Was zum Teufel geht da vor?« Benommen und gleichzeitig entrüstet, streckte er eine Hand aus und traf auf Wand. Er orientierte sich daran und kam auf die Füße. Er tastete sich an der Wand entlang, wartete darauf, an eine Ecke, eine Tür zu kommen. Es dauerte einen Moment, bis er merkte, dass die Wand nicht tapeziert war.
Dieses Mal befand er sich also nicht in seinem Geisterzimmer. Er war wohl in einem der Bedienstetenflure, wo auch das Mädchen in seinem Traum gewesen war. Irgendwie, dachte er, glich sein Gang dem des Mädchens.
Die Vorstellung, im Dunkeln umherzustolpern, bis er einen Weg hinaus fand, war zwar wenig verlockend, aber doch angenehmer als die Vorstellung, hier die restlichen paar Stunden bis zum Tagesanbruch auszuharren.
Er arbeitete sich Stück für Stück vorwärts. Als er einen Türrahmen fühlte, war er schweißgebadet.
Er schob sich nach draußen und stieß ein Dankgebet aus, als er die frischere Luft atmete und im schwachen Licht die Umrisse der Tür ausmachte, die zum Flur des zweiten Stocks führte.
Spinnweben klebten ihm in den Haaren, Hände und Füße waren schmutzig.
Wenn dies so weiterginge, sagte er sich, würde er einen Arzt aufsuchen und sich Schlaftabletten geben lassen. Er wusch sich in der Hoffnung, dass die Abenteuer der Nacht vorbei waren, und schüttete sich Wasser in seine brennende Kehle. Dann schloss er sich in seinem Schlafzimmer ein.
7
Declan nahm Effie den Bücherstapel ab, dann küsste er sie auf die Wange. »Du hättest nicht den weiten Weg zurücklegen müssen, um mir die hierher zu bringen. Ich wäre auch zu dir gekommen.«
»Es hat mir nichts ausgemacht. Bei mir ist eine Sitzung ausgefallen, und so hatte ich etwas Zeit. In Wahrheit aber...«, langsam ein und aus atmend drehte sie sich im Kreis, »... musste ich mir beweisen, dass ich nicht auf dem Absatz kehrtmachen und davonlaufen würde, wenn ich wieder in dieses Haus käme.«
»Geht's denn?«
»Ja.« Sie atmete wieder langsam aus und nickte dann heftig. »Ich fühl mich ganz gut.« Als sie die Tränensäcke unter seinen Augen sah, runzelte sie die Stirn. »Während du einen ziemlich mitgenommenen Eindruck machst.«
»Hab nicht so gut geschlafen.« Er wollte nicht von seinen Träumen und seinem Schlafwandeln erzählen. Den Geräuschen, die ihn ständig mitten in der Nacht aufweckten. »Komm mit mir in die Küche, damit ich ein bisschen angeben kann. Ich habe auch Limonade – nicht von frischen Limonen, aber sie ist kalt.«
»Na gut.« In einer Geste stillschweigender Zustimmung berührte sie seinen Arm und schlug einen lockereren Ton an. »Ich habe zwar nur eine halbe Stunde Zeit, aber ich habe ein paar Informationen für dich. Information und Spekulation. Was spielt sich denn hier ab?«
Sie musterte das Durcheinander im Salon. Auf dem Boden stapelten sich Papiere, Bücher lagen aufgeschlagen herum, haufenweise Farb- und Stoffmuster.
»Mein nächstes Projekt. Ich habe mir überlegt, mit einem Raum anzufangen, in dem die Leute dann auch wirklich sitzen können, wenn er fertig ist. Was für Informationen?«
»Über die Manets. An die Fakten heranzukommen war ganz leicht«, berichtete sie, als sie durchs Haus gingen. »Henri Manet heiratete Josephine Delacroix. Sie kamen beide aus wohlhabenden und einflussreichen kreolischen Familien. Henri war politisch aktiv. Gerüchte besagen, dass sein Vater während des Bürgerkriegs durch Versorgung der Armee ganz anständig
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