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Mitten in der Nacht

Mitten in der Nacht

Titel: Mitten in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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sein, sie das herausfinden zu lassen.«
    In dieser Nacht hörte er Weinen. Das raue, unterdrückte Schluchzen eines Mannes. Vom Kummer niedergedrückt, warf Declan sich im Schlaf herum und konnte nichts dagegen tun, keinen Trost geben und keinen Trost finden.
    Selbst als Stille einkehrte, blieb der Kummer.
     

10
Bayou Rouse
März 1900
    Er wusste nicht, warum er hierher kam und, umgeben von dichten grünen Schatten, auf das Wasser starrte, während sich die Nacht zusammenbraute, um den Tag aufzuzehren.
    Aber er kam immer und immer wieder und wanderte durch das Marschland, als könnte er ihr begegnen, wenn sie an der Flussbiegung entlangschlenderte, wo die Sumpfblumen wuchsen.
    Sie würde ihn anlächeln und die Hand nach ihm ausstrecken.
    Und alles wäre wieder gut.
    Nichts wäre je wieder gut.
    Er fürchtete, wahnsinnig zu werden, hatte Angst, vor Kummer in geistige Umnachtung zu fallen. Wie sonst hätte er sich erklären können, weshalb er in der Nacht ihr Flüstern hörte? Was hätte er tun sollen, er musste doch ihren Klang aussperren, sich dem Schmerz verschließen?
    Er beobachtete den blauen Reiher, der wie ein schöner, reiner, makelloser Geist aus dem Riedgras aufstieg, um über das teefarbene Wasser zu streifen und in die Baumwipfel zu gleiten. Weg von ihm. Immer weg von ihm.
    Sie war weg. Seine Abby war ihm wie der Geistervogel davongeflogen. Alle sagten das. Seine Familie, seine Freunde. Er hatte die Dienstboten darüber tuscheln hören. Dass Abigail Rouse mit irgendeinem unbedeutenden Niemand durchgebrannt war und ihren Ehemann und das kleine Bastardmädchen zurückgelassen hatte.
    Obwohl er sich weiterhin in New Orleans, in Baton Rouge, in Lafayette umhörte, weiterhin in einsamer Nacht geistergleich durchs Delta streifte, glaubte er es.
    Sie hatte ihn und das Kind verlassen.
    Und jetzt ging auch er, nur sein Körper war noch da. Wie in Trance schleppte er sich durch die Tage. Gott möge ihm beistehen, aber er konnte dem Kind kein Vater sein, jenem Abbild Abigails, denn insgeheim und schamvoll zweifelte er daran, dass es sein Blut in sich trug. Er brauchte es nur anzusehen, und schon überkam ihn unsäglicher Kummer.
    Er stieg nicht mehr hoch zum Kinderzimmer. Zwar verachtete er sich dafür, aber kaum betrat er die Treppe, die hoch in den zweiten Stock führte, glaubte er in einem Meer der Verzweiflung zu ertrinken.
    Sie behaupteten, es sei nicht sein Kind.
    Nein. Im Zwielicht der Dämmerung, wenn die Nacht um ihn herum zum Leben erwachte, bedeckte Lucian sein Gesicht mit den Händen. Nein, das konnte er, wollte er nicht von ihr glauben. Sie hatten dieses Kind gemeinsam erschaffen, in Liebe,Vertrauen und vor Verlangen.
    Wenn selbst dies eine Lüge war...
    Er nahm die Hände vom Gesicht und trat ans Wasser. Bestimmt wäre es warm, so warm wie ihr Lächeln gewesen war. Weich, wie ihre Haut weich gewesen war. Und jetzt verdunkelte sich sogar seine Farbe und wurde beinah zur Farbe ihrer Augen.
    »Lucian!«
    Erstarrt blieb er am rutschigen Ufer stehen.
    Abby. Sie eilte auf ihn zu, schob sich durch die Weidenwedel, ihr Haar in Mitternachtslocken über die Schultern gebreitet. Sein vom Kummer betäubtes Herz erwachte mit einem wilden Satz.
    Dann fiel der letzte Schimmer des Sonnenlichts auf sein Gesicht, und er starb wieder.
    Claudine packte seine Hände. Vor Angst waren ihre Finger eiskalt. Sie hatte gelesen, was in seinen Augen stand – es war sein Tod gewesen.
    »Das würde sie niemals wollen. Niemals würde sie es gutheißen, dass Sie Ihre Seele der Verdammnis preisgeben, indem Sie sich das Leben nehmen.«
    »Sie hat mich verlassen.«
    »Nein. Nein, das stimmt nicht. Man lügt Sie an. Sie lügen, Lucian. Sie hat Sie geliebt. Sie liebte Sie und Marie Rose mehr als alles in der Welt.«
    »Wo ist sie dann?« Die unter der Betäubung seines Kummers ruhende Wut brach sich Bahn. Er packte Claudine an den Armen und zerrte sie auf die Zehenspitzen. Ein Teil von ihm, dunkel und im Verborgenen, hätte ihr am liebsten die Fäuste ins Gesicht geschlagen. Es ausgelöscht, weil es ein Bindeglied zu Abigail war und zu seiner eigenen erdrückenden Verzweiflung. »Wo ist sie?«
    »Tot!« Sie schrie es, und ihre Stimme hallte in der warmen, stickigen Luft nach. »Sie haben sie getötet. Nur im Tod würde sie Sie und Rosie verlassen.«
    Er schob sie beiseite und taumelte davon, um sich gegen den Stamm einer Eiche zu lehnen. »Das ist doch nur ein anderer Irrsinn.«
    »Aber wenn ich es doch weiß. Ich fühle es. Ich habe

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