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Mitternacht

Mitternacht

Titel: Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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gehörte. Das lag natürlich an ihrer Kindheit und Jugend in San Die go, wo sie ihre große Schwester Janice vergöttert und sich in der Liebe ihrer Eltern wohlgefühlt hatte. Das große Ausmaß an Glück und Sicherheit in ihrer Jugend ermöglichte ihr, mit Elend, Verzweiflung und Terror zurechtzukommen, die sie manchmal erlebte, wenn sie an einem ambitionierten Dokumentarfilm arbeitete. Die beiden ersten Jahrzehnte ihres Lebens waren so voller Glück gewesen, daß sie alles Nachfolgende ausglichen.
    Der Fahrstuhl war im zweiten Stock angekommen, dann fuhr er mit einem leisen Poltern und neuerlichem Summen weiter nach unten. Sie fand es faszinierend, daß Moose, der daran gewöhnt war, den Fahrstuhl für und mit seinem Herrn zu benützen, ihn nachts selbst benützte, obwohl es über die Treppe schneller gegangen wäre. Auch Hunde konnten Gewohnheitstiere sein.
    Sie hatten zu Hause auch Hunde gehabt, als sie noch ein Kind gewesen war, zuerst einen Apportierhund namens Barney, danach einen irischen Setter namens Mickey Finn...
    Janice hatte vor sechzehn Jahren geheiratet und war von zu Hause fortgegangen, als Tessa achtzehn gewesen war, und danach hatte die Entropie, die blinde Kraft der Auflö sung, das behagliche Leben in San Diego zunichte gemacht. Tessas Dad war drei Jahre später gestorben, kurz nach seiner Beerdigung hatte sich Tessa auf den Weg gemacht, um ihre Werbespots, Dokumentationen und Reisefilme zu machen, und sie hatte zwar regelmäßigen Kontakt mit ihrer Mutter und Schwester gehalten, aber die goldene Zeit war vorbei gewesen.
    Jetzt lebte Janice nicht mehr. Und Marion würde nicht ewig leben, auch dann nicht, wenn sie das Fallschirmsprin gen wirklich sein ließe.
    Tessa wünschte sich vor allen Dingen, diese häusliche Idylle mit einem Mann und eigenen Kindern neu erschaffen zu können. Sie hatte mit dreiundzwanzig einen Mann geheiratet, der Kinder mehr wollte, als er sie gewollt hatte, und als sie herausfanden, daß sie keine Kinder bekommen konnte, hatte er sie verlassen. Adoption genügte ihm nicht. Er wollte Kinder, die biologisch seine eigenen waren. Vierzehn Monate vom Tag der Eheschließung bis zur Scheidung. Sie hatte sehr gelitten.
    Danach hatte sie sich mit einem Eifer auf ihre Arbeit gestürzt, wie sie ihn vorher nicht gekannt hatte. Sie war einsichtig genug zu erkennen, daß sie durch ihre Kunst versuchte, die ganze Welt zu erreichen, als wäre sie eine einzige große Familie. Indem sie komplizierte Geschichten und Themen in dreißig, sechzig oder neunzig Minuten Film zwängte, versuchte sie, die Welt zu verkleinern, sie auf das Wesentliche zu reduzieren, auf die Größe einer Familie.
    Aber als sie nun in Harry Talbots Gästezimmer wach lag, wußte sie, daß sie niemals völlige Befriedigung finden würde, wenn sie ihr Leben nicht radikal veränderte und das, was sie sich so sehr wünschte, direkter suchte. Es war unmöglich, eine Person mit Tiefe zu sein, wenn einem die Liebe zur Menschheit fehlte, aber diese verallgemeinerte Liebe konnte sehr schnell dünn und bedeutungslos werden, wenn man keine Familie hatte, die einem nahestand; denn in der Familie sah man tagtäglich die speziellen Dinge in speziellen Menschen, die in der Verlängerung eine umfassendere Liebe zu anderen Mitmenschen rechtfertigte. In ihrer Kunst suchte sie nach dem Spezifischen, aber ihr fehlte ein Gefühlsleben.
    Während sie Staub und den schwachen Mehltaugeruch einatmete, war ihr, als hätte ihr Potential als Persönlichkeit so lange brachgelegen wie dieses Gästezimmer. Aber nachdem sie jahrelang keine Verabredung mehr gehabt hatte, nachdem sie sich vor ihrem gebrochenen Herzen in harte Arbeit geflüchtet hatte, wie sollte sich eine vierunddreißig jährige Frau jetzt dem Teil ihres Lebens öffnen, dem sie sich absichtlich verschlossen hatte? In diesem Augenblick fühlte sie sich unfruchtbarer als jemals seit sie erfahren hatte, daß sie nie eigene Kinder haben könnte. Und die Frage, wie sie ihr Leben neu gestalten könnte, schien derzeit wichtiger zu sein als herauszufinden, woher die Schreckgespenster ka men und was sie waren.
    Kontakt mit dem Tod konnte seltsame Gedanken wecken.
    Nach einer Weile überwand Müdigkeit ihre innere Aufruhr, und sie schlief wieder ein. Kurz bevor sie endgültig einschlummerte, wurde ihr klar, daß Moose vielleicht in ihr Zimmer gekommen war, weil er gespürt hatte, daß etwas im Haus nicht stimmte. Vielleicht hatte er versucht, sie zu warnen. Aber er wäre sicher aufgeregter

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