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Mitternacht

Mitternacht

Titel: Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Formen. Auf dem feuchten Sand am Wasser, wo die Wellen Zentimeter von ihren Schuhspitzen entfernt ausrollten, sah Tessa nach Westen. Der Viertelmond reichte nicht aus, das weite, wogende Meer zu erhellen; sie konnte lediglich die ersten drei Reihen der flachen, schaumgekrönten Wellen sehen, die aus der Dunkelheit auf sie zubrandeten.
    Sie versuchte, sich ihre Schwester vorzustellen, wie sie an diesem einsamen Strand stand, dreißig oder vierzig Valium mit Diet Coke hinunterspülte und sich dann nackt auszog und ins kalte Meer sprang. Nein. Nicht Janice.
    Von der wachsenden Überzeugung erfüllt, daß die Behörden in Moonlight Cove entweder untaugliche Narren oder Lügner waren, schritt Tessa an der Krümmung des Strands entlang nach Süden. Sie betrachtete im perlmuttartigen Licht des verkümmerten Mondes den Sand, die verstreuten Zypressen weiter hinten am Strand und die von der Zeit abgetragenen Felsformationen. Sie suchte nicht nach greifbaren Spuren, die ihr verraten könnten, was Janice zugestoßen war; die waren in den vergangenen Wochen nur von Gezeiten und Winden verwischt worden. Sie hoffte statt dessen, die Landschaft selbst und die Elemente der Nacht - Dunkelheit, kühler Wind, Arabesken blassen, langsam dichter werdenden Nebels - würden sie inspirieren, eine Theorie darüber zu entwickeln, was Janice wirklich zugestoßen war, und wie sie anfangen könnte, diese Theorie zu beweisen. Sie war Filmemacherin, die sich auf verschiedene Arten von Industrie - und Dokumentarfilmen spezialisiert hatte. Wenn sie Zweifel an Bedeutung oder Zweck eines Projektes hatte, konnte es sie, wie sie schon häufig festgestellt hatte, zu erzählerischen und thematischen Annäherungen an ein Thema inspirieren, wenn sie sich ganz in die bestimmte geographische Gegend versenkte. Wenn sie sich im Anfangsstadium eines neuen Reisefilms befand, verbrachte sie häufig ein paar Tage nur damit, ziellos durch die Straßen einer Stadt, wie Singapur oder Hongkong oder Rio, zu schlendern und Einzelheiten in sich aufzunehmen, was produktiver war, als stundenlang Hintergrundinformationen nachzulesen oder sich Gedanken zu machen, obwohl Lesen und Nachdenken selbstverständlich auch dazugehörten.
    Sie war kaum sechzig Meter am Strand entlanggelaufen, als sie einen schrillen, unheimlichen Schrei hörte und stehenblieb. Das Geräusch war fern, schwoll an und senkte sich, schwoll an und senkte sich, verstummte.
    Sie fragte sich, was sie gehört hatte, denn der seltsame Ruf machte sie kälter als die kühle Oktoberluft. Es war teilweise ein hundeähnliches Heulen gewesen, aber sie war sicher, daß es nicht von einem Hund stammte. Obwohl es auch etwas vom katzenhaften Maunzen und Wimmern gehabt hatte, war sie sicher, daß es auch nicht von einer Katze stammte; keine Hauskatze kpnnte so laut schreien, und soweit sie wußte, streiften keine Wildkatzen durch die Berge an der Küste, aber ganz bestimmt nicht in der Nähe einer Stadt wie Moonlight Cove.
    Gerade als sie sich wieder in Bewegung setzen wollte, hallte derselbe klagende Schrei durch die Nacht, und jetzt war sie ziemlich sicher, daß er von der Klippe weiter südlich heruntertönte, die sich über den Strand erhob, wo die Lichter der meerwärts erbauten Häuser nicht so dicht waren wie in der Mitte der Bucht. Dieses Mal endete das Heulen mit einem abgehackteren, kehligeren Laut, der von einem großen Hund hätte stammen können, aber sie war immer noch davon überzeugt, daß er von einem anderen Geschöpf stammen mußte. Jemand, der an der Küste lebte, mußte sich ein exotisches Tier als Haustier halten: möglicherweise einen Wolf oder eine große Gebirgskatze, die nicht an der nördlichen Küste beheimatet war.
    Diese Erklärung befriedigte sie freilich nicht völlig, denn der Schrei hatte etwas eigentümlich Vertrautes an sich gehabt, das sie nicht greifen konnte, eine Eigenheit, die nichts mit einem Wolf oder einer Gebirgskatze zu tun hatte. Sie wartete auf einen weiteren Schrei, aber es kam keiner mehr. Die Dunkelheit um sie herum hatte zugenommen. Der Nebel ballte sich zusammen, eine dunkle Wolke schob sich halb vor die Mondsichel.
    Sie entschied, daß sie die Einzelheiten der Landschaft am Morgen besser in sich aufnehmen könnte, und drehte sich wieder zu den nebelverschleierten Laternen am Ende der Ocean Avenue um. Sie merkte nicht, daß sie so schnell ging - beinahe rannte -, bis sie das Ufer hinter sich gelassen, den Parkplatz überquert und den ersten Block der Ocean Avenue

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