Mitternacht
Strömen, als würde sie aus dem Verputz quellen, über die gelbe Farbe.
Loman Watkins, der in dem im zweiten Stock gelegenen Zimmer des Cove Lodge stand, war entsetzt... aber gleichzeitig seltsam erregt.
Der gräßlich zerbissene und zerfetzte Leichnam des Mannes lag in der Nähe des zerwühlten Bettes. Die tote Frau, die in einem noch schlimmeren Zustand war, lag außerhalb des Zimmers im Flur, eine scharlachrote Masse auf dem orangefarbenen Teppich.
Die Luft stank nach Blut, Erbrochenem, Fäkalien, Urin eine Mischung von Gerüchen, die Loman immer besser kannte, da die Opfer der Regressiven Woche für Woche, Tag für Tag immer häufiger auftauchten. Aber diesesmal spürte er, wie noch nie vorher, etwas ungemein Anziehendes unter der beißenden Oberfläche des Gestanks. Er atme te tief ein, war aber nicht sicher, warum ihn dieses furchtbare Gemetzel so faszinierte. Aber er konnte die Faszination nicht leugnen - und ihr auch nicht widerstehen, ebensowenig wie ein Hund dem Geruch des Fuchses widerstehen kann. Obwohl er sich dem verlockenden Ge ruch nicht widersetzen konnte, machte ihm seine Reaktion darauf Angst, und das Blut in seinen Adern schien immer kälter zu werden, je mehr Lust er an dem biologischen Ge stank empfand.
Barry Sholnick, der Beamte, den Loman via Computer ins Cove Lodge geschickt hatte, damit er Samuel Booker festnähme, und der anstelle des FBI-Agenten dieses Gemetzel vorgefunden hatte, stand jetzt am Fenster in der Ecke und betrachtete den Toten eingehend. Er war schon lange im Motel, länger als alle anderen, und betrachtete das Opfer in zwischen mit der Gleichgültigkeit, die Polizisten kultivieren mußten, als wären zerfetzte und verstümmelte Leichen am Schauplatz nicht bedeutender als die Möbelstücke. Und doch konnte Sholnick den Blick nicht von dem zerstückelten Leichnam, dem blutverschmierten Wrack und den blutbespritzten Wänden abwenden.
Wir verabscheuen, was aus den Regressiven geworden ist und was sie tun, dachte Loman, aber auf eine kranke Weise beneiden wir sie auch um ihre unvergleichliche Freiheit.
Etwas in ihm - und er vermutete, in allen Neuen Menschen - schrie danach, sich zu den Regressiven zu gesellen. Loman verspürte, wie schon vor dem Haus der Fosters, den Wunsch, die neue Kontrolle über seinen Körper nicht dazu zu benützen, sich höher zu entwickeln, wie Shaddack das beabsichtigt hatte, sondern um in ein wildes Stadium zu rückzusinken. Er sehnte sich danach, auf eine Bewußtseinsebene hinabzusinken, auf der ihn keine Gedanken über Sinn und Zweck des Lebens quälen würden, auf der intellektuelle Herausforderungen nicht existierten, auf der er ein Geschöpf sein würde, dessen Existenz fast ausschließlich vom Empfinden geprägt sein würde, auf der jede Entscheidung einzig und allein auf der Basis getroffen werden würde, ob sie ihm Vergnügen bereitete, eine von komplizierten Gedankengängen freie Ebene. O Gott, von der Last der Zivilisation und Intelligenz befreit zu sein!
Sholnick gab tief in der Kehle ein Knurren von sich. Loman sah von dem Toten auf.
Ein wildes Licht brannte in Sholnicks Augen.
Bin ich so blaß wie er? fragte sich Loman. Ebenso hohläugig und seltsam?
Sholnick hielt dem Blick seines Chefs einen Moment stand, dann wandte er sich ab, als wäre er bei einer beschämenden Tat ertappt worden.
Lomans Herz schlug heftig.
Der dunkle, anziehende Geruch. Der Geruch der Jagd, des Tötens.
Er wandte sich von der Leiche ab und ging auf den Flur hinaus, aber dort lag der Leichnam der Frau - zerfetzt, verstümmelt, nackt -, und auch da fand er keine Erleichterung. Bob Trott, der erst vor kurzem zur Truppe gestoßen war, als das Personal vor einer Woche auf zwölf erhöht worden war, stand über dem verwüsteten Leichnam. Er war ein großer Mann, acht Zentimeter größer und dreißig Pfund schwerer als Loman, mit einem Gesicht voll schroffer Flächen und scharfer Kanten. Er sah mit einem schwachen, unheiligen Lächeln auf den Kadaver hinab.
Erhitzt, mit verschwimmender Sicht und Augen, die im grellen Neonlicht schmerzten, sagte Loman schrill: »Trott, kommen Sie mit mir.« Er ging den Flur entlang zum anderen Zimmer, in das eingebrochen worden war. Trott folgte ihm mit offensichtlichem Widerwillen.
Als Loman die eingeschlagene Tür dieses Zimmers erreichte, tauchte Paul Amberlay, ein weiterer seiner Beamten, an der Nordtreppe auf. Er kam vom Büro der Motels zurück, wohin Loman ihn geschickt hatte, damit er das Gästebuch studierte.
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