Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
Jetzt verstand sie natürlich so einiges. Da Drew - oder vielmehr Andrew - früher bei Hofe ein und aus gegangen war, musste der Richter ihn erkannt haben. Vermutlich hatte er ihn deshalb auch gehen lassen. Ihrem Vater hatte er damals versichert, er hege an der Glaubwürdigkeit und Unschuld des Gefundenen keine Zweifel. Hatte ihn sogar mit einem der Pferde, welches er Gregorys Gefolgsleuten abgenommen hatte, entschädigt. Diese waren seinen Männern auf dem Weg zur Küste direkt in die Arme geritten und sofort verhaftet worden.
Warum war er nicht einfach zu ihr zurückgekehrt? Warum war er ohne ein Wort aus ihrem Leben verschwunden, wenn er sie wirklich liebte? Und was viel wichtiger war - warum war er wieder da? Jetzt, nachdem sie wochenlang um ihn geweint, jede Nacht seine Nähe herbeigesehnt und ihn schließlich sogar verflucht hatte, wagte er es ihr Leben erneut auf den Kopf zu stellen.
Das alles machte sie wütend! Sehr wütend. So wütend sogar, dass sie den Ball verlassen hatte, weil seine gemeine Täuschung sie so verletzt hatte. Wenn er doch nur von Anfang an ehrlich zu ihr gewesen wäre.
Viel zu schnell wurde es hell und Abbie brauste wie ein Wirbelwind durchs Zimmer, zog die Vorhänge beiseite und riss die Fenster auf.
„Guten Morgen, Mylady. Das wird ein herrlicher Tag, sage ich Euch. Bereits seit dem frühen Morgen treffen Karten von Herren ein, die gerne den Tag mit Euch verbringen würden. Der Ball war ein voller Erfolg sagt Lady Bellham.“
Da sich Julia die halbe Nacht nur ruhelos herumgewälzt hatte, schien ihr der Tag nicht ganz so herrlich, wie ihre Zofe ihn gerade darstellte. Dennoch siegte ihre Neugier und sie ließ sich ankleiden und frisieren, um einen Blick auf die unzähligen Karten zu werfen. Abbie wählte ein altrosa Morgenkleid, welches nur leicht ausgestellt war und keinen Reifrock benötigte. Dazu flocht sie ihr die Haare zu einer Krone um den Kopf und zupfte nur im Nacken einige Härchen heraus.
„So. Damit wird Eure Tante zufrieden sein“, verkündete sie.
„Die Damen erwarten Euch bereits im Morgenzimmer.“
Julia streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus und ging hinunter. Kaum am Fuß der Treppe angekommen, hielt ihr der Butler ein Tablett entgegen, auf dem die Karten der Herren fein säuberlich gestapelt lagen.
„Wenn Mylady sich entschieden hat, welche der Einladungen sie annehmen möchte, werde ich den Sekretär bitten, Antwortkärtchen zu versenden“, erklärte er.
„Danke“, murmelte Julia und überflog die ersten Namen.
Eine Einladung zum Tee von Lord Saunders, eine von Lord Goodrick und Lord Dauncey bat um einen Ausritt am Strand. Lord Dauncey war ihr ein Begriff, die beiden anderen Herren wären vermutlich sehr enttäuscht wenn sie wüssten, dass Julia sich nicht einmal an sie erinnern konnte. Neugierig öffnete sie die nächste Karte und fluchte leise, als sie den Namen in feiner geschwungener Handschrift darauf sah. Lord Andrew Maynwarring bat um ein gemeinsames Frühstück mit anschließender Ausfahrt in seinem Zweispänner. Vertieft in ihre Korrespondenz öffnete sie die Tür zum Morgenzimmer mit einem Schubs ihrer Hüfte. Auf einem kleinen Sofa vor dem Fenster saß Lady Litcott. Elizabeth schenkte ihr gerade eine Tasse Tee ein.
„Eines sage ich euch gleich, ich werde auf keinen Fall mit diesem Maynwarring ausfahren!“, stellte Julia lieber sofort klar, da sie sich nur zu gut an den begeisterten Gesichtsausdruck von Lady Bellham erinnerte.
„Das ist aber schade. Darf ich den Grund für Eure Ablehnung erfahren?“, antwortete eine vertraute Stimme rechts von ihr.
Überrascht fuhr Julia herum. Andrew stand an der Wand, an der einige Porträts der Familie hingen. Das Bild, vor dem er stand, zeigte Julias Mutter Sophia. Die flammende Röte stieg ihr in die Wangen, als ihr klar wurde, wie unhöflich sie erscheinen musste.
„Nun, … Mylord, ich …“, stotterte sie verlegen und versuchte den inneren Aufruhr, der bei seinem Anblick in ihr ausgebrochen war, niederzuringen.
„Julia!“, rief ihre Tante aufgebracht, die kaum glauben konnte, wie unglücklich dieses Zusammentreffen lief. Besonders da sie überzeugt war, dass Lord Maynwarring der perfekte Kandidat zum Heiraten war.
„Schon gut, Lady Litcott. Ich finde diese Ehrlichkeit erfrischend und glauben sie mir, wenn wir erst unterwegs sind, wird sie sicher bemerken, dass ihr Urteil voreilig war“, beruhigte Drew die Damen.
„Was soll das heißen? Es tut mir zwar leid, mich Euch gegenüber
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