Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
hatte. Obwohl sie jetzt wusste, dass er nicht der mittellose Kopfgeldjäger war, für den sie ihn hielt, sondern der vermutlich reichste Erbe in ganz London, und sein Vater zu den besten Freunden des Königs zählte, hatte sie sich für ihr Verhalten ihm gegenüber weder entschuldigt noch war sie entzückt über seine Aufmerksamkeit gewesen.
Ganz im Gegenteil; Sie hatte einiges Aufsehen erregt, als sie so wütend aus dem Saal geeilt war. Er musste schmunzeln. Nein, geeilt war das falsche Wort. Sie war gestapft. Vergleichbar mit einem Eber, der vorhatte, einem seine Hauer in den Leib zu jagen.
Erst jetzt bemerkte er, wie kühl es im Zimmer war. Er entfachte im Kamin ein Feuer und schenkte sich einen Whiskey ein. Gerade ließ er sich wieder entspannt in den Sessel sinken, als Gibson, der einzige Butler den er in seinem Dienst hatte, ins Zimmer gestürmt kam.
„Mylord, Ihr seid schon zurück?“
Sein Blick huschte zu dem Feuer und dem bereits eingegossenen Drink, zurück zu seinem unkonventionellen Herrn.
„Aber … hättet Ihr doch nach mir geklingelt, Mylord. Ihr könnt doch nicht einfach selbst ein Feuer machen“, protestierte der Butler.
„Ganz ruhig Gibson. Ich bin ein erwachsener Mann, der im Umgang mit der Zunderdose sehr geschickt ist, wie mir scheint. Wie Ihr seht, habe ich weder das Haus abgefackelt, noch mich selbst in Brand gesteckt.“
„Aber Mylord!“, verteidigte sich Gibson, „Seht Euch nur Eure Hände an.“
„Es ist nur Ruß, Gibson. Geht jetzt zu Bett, ich benötige Eure Dienste heute nicht mehr.“
Er konnte sich nicht so recht wieder daran gewöhnen, dass ihm jeder Handgriff abgenommen wurde. Bisher hatte er es schlichtweg abgelehnt, sich beim Ankleiden zur Hand gehen zu lassen. Und wenn er ehrlich war, gefiel es ihm ein Feuer zu entzünden. Es hatte etwas von Zauberei:
Die kleinen Äste, welche die Flamme nährten, sobald das brennende und nach Schwefel riechende Zunderholz ihnen zu nahe kam. Das Knacken und Zischen der erwachenden Flamme, die sich schnell durch die Späne fraß und hungrig an den großen Scheiten leckte.
Die orangeroten Flammen vollführten einen Tanz - hitzig und leidenschaftlich züngelten sie aneinander hoch, verschmolzen miteinander - fast wie sie es heute Abend mit Drew getan hatte.
„Mylady, bitte. Geht zu Bett. Ihr sitzt schon seit Stunden da und blickt ins Feuer. Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr nicht doch etwas Laudanum nehmen wollt?“, bot Abbie an.
„Danke, aber mir geht es gut. Du kannst dich zurückziehen.“
Um die besorgte Zofe zu beruhigen, kletterte Julia brav in ihr Bett und zog sich die Decke bis unter die Nase. Als Abbie schließlich die Lampen gelöscht hatte und leise die Tür hinter sich schloss, atmete Julia geräuschvoll aus. Nur der matte Lichtschein des Feuers spendete noch Licht. Sie schloss die Augen.
Drew Warring war zurück. Drew? Nein, der Mann, den sie meinte, war nicht Drew - es war Lord Andrew Maynwarring! Was einige wenige Silben plötzlich ausmachten. Noch immer spürte sie seine Hand auf ihrem Rücken und um ihre Taille, fühlte seinen Atem auf ihrer Haut und sah das spöttische Funkeln in seinen vermaledeiten Augen. Diese Augen waren es, die ihr den Verstand raubten! Und wie er sie angesehen hatte - wie ein beutewitterndes Raubtier. Bestimmt würde sie leichte Beute für ihn sein. Wie sollte sie sich ihm denn auch entziehen? Er war der Sohn eines Herzogs, eine fabelhafte Partie, der perfekte Mann zum Heiraten. Und wie es schien, hatte er die Jagd bereits eröffnet.
Und sie? Sie war vollkommen unvorbereitet gewesen. Ihren Gefühlen hilflos ausgeliefert und ohne den Hauch einer Ahnung, wer er eigentlich war. Warum hatte er es ihr nicht gesagt? Er hatte sie erneut gefragt, ob sie mit ihm davonlaufen wolle, aber warum hatte er ihr nicht versichert, sie müsse nicht hungern, weil er über ein größeres Vermögen verfügte, als sonst jemand. Warum hatte er ihr gegenüber seinen Titel nicht einfach erwähnt?
Mit einem Mal erkannte sie, was seine Absicht gewesen war. Er hatte sie prüfen wollen. Sehen, ob sie sein Geld wollte oder ihn! Als hätte sie es nötig! Wenn nicht Gregory alles kaputtgemacht hätte, wäre sie noch in jener Nacht zu ihm geeilt, um mit ihm davon zu laufen.
Er war es doch gewesen, der - nachdem man ihn im letzten Moment, wie von Richter Cox berichtet, gerettet hatte - einfach verschwunden war. Die rätselhaften Erklärungen des Richters aus jener Nacht hatten damals für Julia wenig Sinn ergeben.
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