Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
widerwillig brachte sie nach einer gefühlten Ewigkeit die Kraft auf, ihn sanft von sich zu weisen.
„Drew. Wir können nicht …, ich meine du kannst nicht einfach herkommen, allen erzählen, dass du mich heiraten willst und mich hier so in der Öffentlichkeit küssen. Was, wenn uns jemand sieht?“
„Ich weiß. Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen, aber Lord Dauncey ist ein guter Mann und es täte mir leid, ihn auch noch fordern zu müssen.“
„Du sollst niemanden fordern!“, rief Julia.
„Natürlich nicht! Aber diesen Drang verspüre ich nun einmal, wenn ich mir vorstelle, du könntest vielleicht in Erwägung ziehen, einen von diesen Kerlen zum Mann zu nehmen - und nicht mich.“
Ihr Herz schlug auf dieses Bekenntnis so laut, wie der Stundenschlag einer Uhr. Nein, es war eine Uhr, die in ihrem Kopf widerhallte und egal was auch immer sie jetzt am liebsten tun würde, sie konnte sich nicht aufhalten lassen.
„Gut, gut. Das ist wundervoll“, stammelte Julia, “Wir besprechen das morgen, ja?“
Damit drehte sie sich um und rannte die Stufen hinauf. Für die Liebe war morgen immer noch Zeit.
Heute war die Nacht der Abrechnung.
Mit klopfendem Herzen rannte Julia den Flur entlang in ihr Zimmer. Schnell verriegelte sie die Tür und verrenkte sich fast den Rücken, bei dem Versuch die vielen kleinen Haken ihres Kleides zu öffnen.
„Verfluchter Mist. Wer näht denn so etwas!“, murrte sie, als sich endlich die vielen Lagen Stoff um ihre Füße bauschten. Barfuß flitzte sie durch ihr Gemach und kramte ganz hinten in ihrem Schrank herum, bis sie schließlich das Gesuchte fand: eine Hose, einen dunklen Umhang mit Kapuze und ihre Lederstulpe. Es dauerte nicht einmal halb so lange diese Sachen anzuziehen, wie das Kleid gebraucht hatte, sie freizugeben.
Die Hose war eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Nachtgewand, welches sie für gewöhnlich unter dem Umhang getragen hatte. Es war Drews Hose.
„Autsch!“
Sie war mit der Zehe gegen das Stuhlbein gestoßen und hüpfte nun keuchend zum Bett, wo sie den Fuß abtastete. Das kam davon, dass sie einfach ihre Gedanken nicht zusammenhalten konnte. Aber wie sollte sie sich auch auf das konzentrieren, was zu tun war, wenn sie doch eigentlich am liebsten mit Drew noch heute Nacht nach Gretna Green durchgebrannt wäre.
Die Zehe war rot und tat weh, als sie in den Stiefel schlüpfte. Endlich fertig, zog sie sich die dunkle Kapuze tief ins Gesicht und öffnete das Fenster. Wie die vielen Male zuvor kletterte sie auf das Fensterbrett, beugte sich zur Seite und schwang sich, als sie das Fallrohr der Regenrinne gefasst hatte, hinaus in die Nacht.
Kapitel 29
Der Mitternachtsfalke stand an der Klippe. Die kühle, salzige Meeresbrise wehte ihr ins Gesicht. Der Mond stand voll am Himmel und erhellte die sternklare Nacht.
‚Gut so‘, dachte Julia.
Heute wurde abgerechnet und sie wollte nicht eine Sekunde davon verpassen. Ihr letzter Deal mit Captain Adam Reed - ein Geschäft der besonderen Art. Traurig strich sie mit ihrem Finger über die goldene Dublone, die er sich geweigert hatte zurückzunehmen. Ein Glücksbringer, hatte er gesagt. Ob er nicht Glück viel nötiger bräuchte als sie? Mit den besten Wünschen für den Piraten mit der schwarzen Seele steckte sie die Münze zurück in ihre Tasche.
Am Strand unter ihr brachten Butch und sein Sohn Alan die Ladung. Sie schmunzelte, wenn sie daran dachte, wie oft der Falke zwischen ihr und dem Kapitän der Deathwhisper hatte hin und her fliegen müssen, bis sich Adam schließlich auf Julias Anliegen eingelassen hatte.
Erst ein Beutel - voll mit klimpernden Münzen - hatte Captain Blacksoul überzeugen können.
Im silbernen Mondlicht lag der Strand zu ihren Füßen. Der Großteil ihrer Männer hatte sich bereits zurückgezogen. Eigentlich hatte Julia befürchtet, es könnte Schwierigkeiten geben, aber alles lief wie geplant. Die Ladung war bereits in eines der Boote verladen und entfernte sich nun Ruderschlag um Ruderschlag weiter von der Küste. Am Strand flackerte kurz ein Licht auf und sie atmete erleichtert aus. So weit, so gut.
Weit draußen zwischen den Felsnadeln ankerte die Deathwhisper. Julia wurde es eng in der Brust, als sie daran dachte, dass dieses Geschäft auch zugleich ein Abschied war. Das Ende eines Abenteuers. Der Beginn von etwas Neuem.
Sie kniff die Augen zusammen. Da! Die Ladung wurde an Bord geschafft. Sie hatte Mühe, die dunkle Galeone gegen den schwarzen Horizont
Weitere Kostenlose Bücher