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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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in wässrigem
    Blaugrün. Ihr tänzerischer Gang wirkte eher wie ein Gleiten. Sie sah aus wie ein Geist.
    »Psst!«, machte Harald.
    Im schwindenden Licht erkannte sie ihn nicht. »Psst?«, wiederholte sie empört, und ihr herausfordernder Ton hatte überhaupt nichts Geisterhaftes an sich. »Das ist ja wohl die Höhe! Da spüre ich einen Eindringling auf, der durch mein Fenster linst – und der sagt einfach ›Psst!‹ zu mir!« Im Haus bellte ein Hund.
    Harald hätte nicht sagen können, ob Karen wirklich empört war oder die Szene lediglich als amüsant empfand. »Es wäre mir unangenehm, wenn dein Vater wüsste, dass ich hier bin!«, sagte er leise, aber unmissverständlich.
    »Sie sollten sich nicht über meinen Vater Gedanken machen, sondern über die Polizei.«
    Bereit, einen Einbrecher übel zuzurichten, sprang Thor, der alte Rote Setter, auf die Terrasse, doch als er Harald erkannte, leckte er ihm die Hand.
    »Ich bin Harald Olufsen. Ich war vor zwei Wochen bei euch zu Besuch.«
    »Ach, der Boogie-Woogie-Boy! Und was veranlasst dich, hier auf der Terrasse herumzuschnüffeln? Bist du zurückgekommen, um bei uns einzubrechen oder was?«
    Zu Haralds Entsetzen erschien Herr Duchwitz in der Terrassentür und spähte hinaus. »Karen?«, fragte er. »Ist da jemand?«
    Harald hielt die Luft an. Wenn Karen ihn jetzt verriet, war alles verdorben.
    Nach kurzem Zögern sagte sie: »Schon in Ordnung, Vater, nur ein Bekannter von mir.«
    Herr Duchwitz starrte Harald an, konnte ihn im trüben Dämmerlicht aber offenbar nicht erkennen. Er räusperte sich und ging zurück ins Haus.
    »Danke«, sagte Harald und atmete auf.
    Karen setzte sich auf die niedrige Terrassenumfriedung und zündete sich eine Zigarette an. »Du bist hier willkommen, musst mir aber erzählen, was dieser merkwürdige Auftritt soll.« Das Kleid passte zu ihren grünen Augen, die von innen heraus zu leuchten schienen.
    Er setzte sich ihr gegenüber, »Ich hatte einen schlimmen Streit mit meinem Vater und habe mein Elternhaus verlassen.«
    »Und warum bist du ausgerechnet hierhergekommen?«
    Ein Grund dafür war Karen selber – aber das behielt Harald lieber für sich. »Bauer Nielsen hat mich als Mechaniker eingestellt. Ich soll seine Traktoren und Landmaschinen reparieren.«
    »Ganz schön unternehmungslustig. Wo wohnst du denn jetzt?«
    »In. äh. im alten Kloster.«
    »Dreist auch noch!«
    »Das weiß ich.«
    »Decken und so was hast du dir sicher mitgebracht, oder?«
    »Nein, ehrlich gesagt nicht.«
    »Nachts kann es ziemlich kühl werden.«
    »Ich werd‘s schon überleben.«
    »Hmm.« Karen rauchte, schwieg und sah zu, wie sich die Dunkelheit wie Nebel über den Garten senkte. Harald beobachtete sie, hypnotisiert vom Zwielicht in den Konturen ihres Gesichts, von ihrem breiten Mund, der nicht ganz geraden Nase und dem wilden, wuscheligen Lockenkopf, die sich zu einem betörend schönen Bild vereinigten. Er beobachte, wie ihre vollen Lippen den Rauch ausbliesen. Schließlich warf sie die Zigarette in ein Blumenbeet, stand auf, sagte: »Na dann viel Glück!«, ging zurück ins Haus und schloss die Terrassentür hinter sich.
    Das war aber plötzlich, dachte Harald. Seine Hochstimmung war jäh verflogen, doch er blieb noch eine Weile auf dem Mäuerchen sitzen. Die ganze Nacht lang hätte er sich mit Karen unterhalten wollen – aber sie fand ihn schon nach fünf Minuten langweilig. Er erinnerte sich, dass sie ihn bereits bei seinem Wochenendbesuch einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt hatte: erst eine freundliche Begrüßung, dann die Zurückweisung. Vielleicht spielte sie mit ihm – oder ihr Verhalten war das Spiegelbild ihrer eigenen schwankenden Gefühle. Der Gedanke, sie könne etwas für ihn empfinden, gefiel ihm, auch wenn sie offenbar selbst nicht wusste, was sie davon halten sollte.
    Er ging zurück zum Kloster. Die Nachtluft war schon jetzt ziemlich kühl – Karen würde Recht behalten. Der geflieste Boden der Kirche sah ausgesprochen kalt aus. Ich hätte daran denken sollen, eine Decke von Zuhause mitzunehmen, warf Harald sich vor.
    Er sah sich nach einem Bett um. Das Sternenlicht, das durch die Fenster fiel, erhellte das Innere der Kirche nur schwach. Die Ostmauer bildete einen Bogen, der einst den Altar umschlossen hatte. Auf der einen Seite war ein breiter Sims mit einem überhängenden, gefliesten Dach in die Mauer eingelassen. Harald vermutete, dass an dieser Stelle früher einmal ein Kultgegenstand seinen Platz gehabt hatte – eine

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