Mitternachtsfalken: Roman
antwortete Fromer.
Er hatte seine Milch in einem Glas, aus dem er zwischen den Haferbrei-Löffeln immer einen Schluck trank. So aß man in Dänemark Grütze; Hermia wusste es ganz genau. Sie verfluchte insgeheim ihre Nachlässigkeit und versuchte es mit einem Bluff.
»Mir ist es so lieber«, sagte sie so unaufgeregt wie möglich. »Die
Milch kühlt den Brei, da kann man ihn dann schneller essen.«
»Eine junge Frau, die es eilig hat. Woher kommen Sie?«
»Aus Kopenhagen.«
»Ich auch.«
Hermia wollte sich nicht auf ein Gespräch über ihre jeweiligen genauen Wohnorte in Kopenhagen einlassen – dabei konnten ihr leicht noch andere Schnitzer unterlaufen. Am besten stellte sie ihrem Gegenüber Fragen. Ihr war noch nie ein Mann begegnet, der nicht gerne über sich selbst sprach. »Machen Sie Urlaub hier?«, fragte sie ihn.
»Bedauerlicherweise nein. Ich bin Landvermesser im Auftrag der Regierung. Wie dem auch sei, ich habe meine Arbeit erledigt und muss erst morgen zurück sein. Ich werde daher heute ein wenig herumfahren und dann abends die Fähre nehmen.«
»Sie haben einen Wagen?«
»Ich brauche einen für meine Arbeit.«
Die Wirtin brachte Speck und Schwarzbrot. Als sie wieder gegangen war, sagte Fromer: »Wenn Sie unbegleitet sind, würde ich Sie gerne ein bisschen spazieren fahren.«
»Ich bin verlobt und werde bald heiraten«, erwiderte Hermia in unmissverständlichem Ton.
Er lächelte schuldbewusst. »Ihr Bräutigam ist ein glücklicher Mann. Trotzdem würde ich mich über Ihre Gesellschaft sehr freuen.«
»Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich möchte definitiv allein sein.«
»Nein, nein, ich verstehe Sie. Hoffentlich sind Sie mir jetzt nicht böse, weil ich Ihnen zu nahe getreten bin.«
Sie schenkte ihm ihr charmantestes Lächeln. »Aber ganz im Gegenteil! Ich fühle mich geschmeichelt.«
Er schenkte sich noch eine Tasse Ersatzkaffee ein. Offenbar hatte er es nicht eilig. Hermia beruhigte sich ein wenig. Bislang hatte sie keinen Verdacht erregt.
Ein weiterer Gast betrat das Esszimmer, ein Mann etwa in Hermias Alter. Er trug einen guten Anzug. Nach einer steifen Verneigung begrüßte er Hermia Mount und Sven Fromer auf Dänisch mit unverkennbarem deutschem Akzent. »Guten Morgen. Mein Name ist Helmut Müller.«
Hermia klopfte das Herz bis zum Hals. »Guten Morgen«, sagte sie. »Agnes Ricks.«
Müller wandte sich erwartungsvoll an Sven Fromer, der sich in diesem Moment erhob und den Raum verließ, wobei er den Gast demonstrativ ignorierte.
Müller nahm Platz. Er wirkte gekränkt. »Ich danke Ihnen für Ihre Höflichkeit«, sagte er zu Hermia.
Hermia versuchte, sich völlig normal zu verhalten, und presste die Hände zusammen, damit sie nicht mehr zitterten. »Woher kommen Sie, Herr Müller?«
»Ich bin gebürtiger Lübecker.«
Sie überlegte, was eine freundliche Dänin zu einem Deutschen sagen würde. »Sie sprechen sehr gut Dänisch.«
»Als Kind habe ich mit meinen Eltern und Geschwistern oft die Ferien auf Bornholm verbracht.«
Hermia erkannte, dass Müller nicht misstrauisch war, und fühlte sich daher ermutigt, eine weniger oberflächliche Frage zu stellen. »Sagen Sie, weigern sich viele Menschen, mit Ihnen zu sprechen?«
»Eine solche Unhöflichkeit, wie sie unser Mitbewohner gerade an den Tag gelegt hat, ist ungewöhnlich. Unter den gegenwärtigen Umständen müssen Deutsche und Dänen zusammenleben und miteinander auskommen. Die meisten Dänen sind höflich.« Er sah sie neugierig an. »Aber das müsste Ihnen doch eigentlich auch schon aufgefallen sein – es sei denn, Sie haben im Ausland gelebt und sind gerade erst zurückgekommen.«
Hermia erkannte, dass ihr schon wieder ein Fehler unterlaufen war. »Nein, nein«, erwiderte sie schnell. »Ich wohne in Kopenhagen, wo wir, so gut es geht, zusammenleben, ganz wie Sie sagen. Ich wollte nur wissen, ob das hier auf Bornholm anders ist.«
»Nein, das ist hier ziemlich genauso.«
Sämtliche Gespräche sind gefährlich, konstatierte Hermia und stand auf. »Nun, ich hoffe, Sie lassen sich Ihr Frühstück schmecken.«
»Danke.«
»Und ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag in unserem
Land.«
»Ich Ihnen auch.«
Sie ging und fragte sich, ob sie nicht vielleicht zu freundlich gewesen war. Übertriebene Freundlichkeit konnte genauso Verdacht erregen wie offene Feindseligkeit. Aber Müller hatte nicht den Eindruck gemacht, als misstraue er ihr.
Sie wollte sich gerade auf ihr Fahrrad schwingen und losradeln, als
Weitere Kostenlose Bücher