Mitternachtsfalken: Roman
übermitteln?«
Da sie nicht sofort antwortete, schöpfte Flemming neuerlich Hoffnung, und sein Herzschlag beschleunigte sich. Er vermutete, dass sie abwog, ob sie ihn anlügen sollte oder nicht. »Vielleicht«, sagte sie schließlich. »Ich weiß es nicht genau. Um was für eine Nachricht handelt es sich denn?«
»Ich bin Polizist.«
Erschrocken trat sie einen Schritt zurück.
»Keine Angst, ich bin auf Ihrer Seite.« Er spürte, dass sie nicht wusste, ob sie ihm vertrauen sollte oder nicht. »Ich habe nichts mit der Sicherheitsabteilung zu tun, sondern bin im Verkehrsdezernat. Aber die Büros liegen Tür an Tür, und da bekommt man manchmal schon mit, was nebenan vorgeht.«
»Was haben Sie gehört?«
»Arne ist in großer Gefahr. Die Sicherheitsabteilung kennt sein Versteck.«
»Mein Gott!«
Flemming fiel auf, dass Karen weder fragte, was die Sicherheitsabteilung war, noch welcher Vergehen Arne beschuldigt wurde. Und das Wort »Versteck« hatte sie nicht überrascht. Sie weiß, was Arne im Schilde führt, folgerte er mit einem gewissen Triumphgefühl.
Der Verdacht war groß genug; er hätte sie auf der Stelle festnehmen und verhören können. Aber er hatte einen besseren Plan im Sinn. »Sie wollen ihn heute Abend noch verhaften«, sagte er und gab sich dabei große Mühe, möglichst dramatisch und eindringlich zu klingen.
»O nein!«
»Wenn Sie also wissen, wie Arne zu erreichen ist, versuchen Sie bitte um Gottes willen, ihn möglichst schnell zu warnen.«
»Ich glaube nicht.«
»Ich muss jetzt gehen, so Leid es mir tut. Man darf mich nicht mit Ihnen sehen. Tun Sie, was Sie können.« Flemming machte auf dem Absatz kehrt und ging mit raschen Schritten davon.
Oben an der Treppe kam er an Tilde vorbei, die so tat, als studiere sie den Fahrplan. Sie sah ihn nicht an, doch er wusste, dass sie ihn beobachtet hatte und Karen von nun an folgen würde.
Auf der anderen Straßenseite lud ein Mann mit einer Lederschürze Bierkisten von einem Fuhrwerk, vor das zwei große Pferde gespannt waren. Flemming trat hinter den Wagen, nahm seinen weichen Filzhut ab, stopfte ihn in die Innentasche seines Jacketts und setzte dafür eine Schirmmütze auf. Er wusste aus Erfahrung, dass der simple Mützentausch sein Erscheinungsbild deutlich veränderte. Einer genauen Überprüfung konnte diese Maskerade natürlich nicht standhalten, aber wer nicht genau hinsah, hätte ihn nicht ohne weiteres wieder erkannt.
Halb verborgen hinter dem Fuhrwerk beobachtete er den Eingang zum Bahnhof. Kurz darauf kam Karen heraus.
Tilde folgte ihr in wenigen Schritten Entfernung.
Flemming heftete sich an Tildes Fersen. Die beiden Frauen bogen um die Ecke in die Straße, die zwischen Tivoli und Hauptbahnhof verläuft. An der nächsten Querstraße hielt Karen auf die Hauptpost zu, ein großes, klassizistisches Gebäude aus roten und grauen Steinen. Sie trat ein, und Tilde folgte ihr.
Sie will telefonieren, folgerte Flemming voller Hochgefühl. In Windeseile erreichte er den Personaleingang und hielt der erstbesten Person, der er begegnete, seine Dienstmarke unter die Nase. Es war eine junge Frau. »Bringen Sie mir den Amtsleiter her!«, herrschte er sie im Befehlston an. »Auf der Stelle!«
Es dauerte keine Minute, und ein untersetzter Mann in einem abgetragenen schwarzen Anzug erschien. »Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Eben hat eine junge Frau in einem gelben Kleid die Schalterhalle betreten«, sagte Flemming zu ihm. »Ich will nicht, dass sie mich sieht, aber ich muss wissen, was sie tut.«
Der Beamte wirkte wie elektrisiert. Das ist vermutlich das Aufregendste, was ihm je in diesem Postamt passiert ist, dachte Flemming. »Meine Güte«, sagte der Mann. »Dann kommen Sie am besten mal mit.«
Er eilte einen Korridor entlang und öffnete eine Tür. Flemming sah dahinter einen Schalter und eine Reihe von Stühlen vor einer Reihe kleiner Fenster. Der Beamte trat ein. »Ich glaube, ich sehe sie«, sagte er. »Rote Locken und ein Strohhut?«
»Das ist sie.«
»Die hätte ich niemals für eine Kriminelle gehalten.«
»Was macht sie?«
»Sie schlägt im Telefonbuch nach. Erstaunlich, dass eine so hübsche.«
»Wenn sie telefoniert, muss ich mithören.«
Der Beamte wirkte unentschlossen.
Flemming hatte kein Recht, private Anrufe ohne eine entsprechende richterliche Verfügung abzuhören, doch er spekulierte darauf, dass der Beamte diese Vorschrift nicht kannte. »Es ist sehr wichtig«, fügte er hinzu.
»Ich weiß nicht, ob
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