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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Kindesbeinen an kannte, fiel nicht eine Sekunde lang auf die Verkleidung herein.
    Sein Triumphgefühl wich allerdings rasch der Vorsicht. Wenn ein einzelner Polizist versuchte, eine Verhaftung vorzunehmen, gab es oft Scherereien – es war einfach zu verlockend für den Verdächtigen, einen Fluchtversuch zu riskieren. Ein Beamter in Zivil, dem die Autorität der Uniform fehlte, war noch übler dran. Kam es zu Handgreiflichkeiten, konnten Passanten, die zufällig Zeugen der Szene wurden, nicht wissen, dass einer der Beteiligten ein Polizist war. Manchmal griffen sie sogar zu Gunsten der falschen Person ins Geschehen ein.
    Einmal hatte sich Peter Flemming mit Arne Olufsen geprügelt. Das war inzwischen zwölf Jahre her. Peter war größer, Arne aber aufgrund seiner zahlreichen sportlichen Aktivitäten besser durchtrainiert. Der Kampf war unentschieden ausgegangen – nachdem beide ein paar schwere Treffer hatten einstecken müssen, waren sie getrennt worden. Heute bin ich bewaffnet, dachte Peter, aber das gilt möglicherweise auch für Arne.
    Krachend fiel die Haustür ins Schloss. Arne trat auf die Straße und ging direkt auf Flemming zu. Als er näher kam, wandte er den Blick ab und hielt sich dicht an den Hauswänden – genau wie ein Mann auf der Flucht.
    Arne war noch etwa zehn Meter von Flemming entfernt, als er einen verstohlenen Blick auf Peters Gesicht warf. Flemming hielt dem Blick stand und beobachtete Arnes Miene. Er sah, wie Arne verwirrt die Stirn runzelte, sah, wie er sein Gegenüber erkannte, sah den Schock, der darauf folgte, sah die Angst und die Panik.
    Arne blieb wie festgewurzelt stehen.
    »Du bist verhaftet«, sagte Flemming.
    Arne fand seine Fassung wieder, wenigstens zum Teil, und einen Moment lang flackerte das altvertraute unbekümmerte Lächeln über sein Gesicht. »Lebkuchen-Peter!«, sagte er – es war ein Spitzname aus Kindertagen.
    Flemming erkannte, dass Arne davonlaufen wollte. Er zog seine Pistole. »Leg dich auf den Boden, Gesicht nach unten, Hände auf den
    Rücken!«
    Arne wirkte eher besorgt als erschrocken, und Flemming durchfuhr die Erkenntnis, dass es nicht die Pistole war, vor der Arne Angst hatte, sondern etwas anderes.
    »Willst du mich tatsächlich abknallen?«, fragte Arne in herausforderndem Tonfall.
    »Im Notfall ja«, gab Flemming zurück und hielt die Pistole drohend auf Arne gerichtet. In Wirklichkeit wünschte er sich nichts sehnlicher, als Arne lebend festnehmen zu können. Poul Kirkes Tod hatte die Ermittlungen in diesem Spionagefall in eine Sackgasse geführt. Flemming wollte Arne viel lieber verhören als töten.
    Arne lächelte rätselhaft, dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte los.
    Flemming streckte den Arm mit der Waffe kerzengerade aus und visierte sein Ziel über den Lauf an. Er hatte die Absicht, Arne ins Bein zu schießen, aber ein bewegliches Ziel ließ sich mit einer Pistole unmöglich genau aufs Korn nehmen. Ein Schuss konnte alle möglichen Körperteile treffen – oder völlig danebengehen. Doch die Entfernung zu Arne vergrößerte sich immer mehr, und die Chance, ihn aufzuhalten, wurde mit jedem Sekundenbruchteil, der verstrich, geringer.
    Flemming drückte ab.
    Arne rannte weiter.
    Flemming schoss noch einmal und noch einmal. Nach dem vierten Schuss schien Arne zu taumeln. Nach dem fünften stürzte er, schlug schwer auf dem Boden auf und blieb auf dem Rücken liegen.
    »Lieber Gott, nein, nicht schon wieder!«, entfuhr es Flemming.
    Er rannte los, die Pistole noch immer auf Arne gerichtet.
    Die Gestalt auf dem Boden rührte sich nicht.
    Flemming kniete neben ihr nieder.
    Arne schlug die Augen auf. Sein Gesicht war weiß vor Schmerz. »Du blöder Hund!«, flüsterte er. »Du hättest mich erschießen sollen!«
    Am Abend kam Tilde zu Flemming in die Wohnung. Sie trug eine neue rosafarbene Bluse mit Blumenstickerei auf den Ärmelmanschetten. Die Farbe steht ihr gut, dachte Flemming, sie betont ihre Weiblichkeit. Es war noch warm, und Tilde schien unter der Bluse nichts anzuhaben.
    Er führte sie ins Wohnzimmer. Die Abendsonne schien herein und erfüllte den Raum mit einem seltsamen Glanz, der die Konturen der Möbel und der Bilder an den Wänden verschwimmen ließ. Inge saß in einem Sessel am Kamin und starrte mit ihrem gewohnt ausdruckslosen Blick ins Zimmer.
    Flemming zog Tilde an sich und küsste sie. Einen Augenblick lang schien sie vor Überraschung zu erstarren, dann erwiderte sie den Kuss. Flemming strich ihr über Schultern und

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