Mitternachtsfalken: Roman
Hüften.
Sie zog sich zurück und sah ihm ins Gesicht. Er konnte das Verlangen in ihren Augen sehen, spürte aber auch ihre Beunruhigung. Ihr Blick war auf Inge gerichtet. »Geht das denn?«, fragte sie ihn.
Er strich ihr übers Haar, machte »Pssst!« und küsste sie erneut, gierig diesmal. Sie erwiderte seine Leidenschaft. Ohne den Kuss zu unterbrechen, knöpfte er ihre Bluse auf, entblößte ihre weichen Brüste und streichelte die warme Haut.
Wieder entzog sie sich ihm. Ihre Brüste hoben und senkten sich im Rhythmus ihrer schweren Atemzüge. »Und was ist mit ihr?«, fragte sie. »Was ist mit Inge?«
Peter Flemming sah seine Frau an. Sie betrachtete die Szene mit ihrem starren, emotionslosen Blick, wie immer. »Es ist niemand da«, sagte er zu Tilde. »Niemand.«
Sie sah ihm in die Augen. Ihre Miene verriet Mitgefühl und Verständnis, vermischt mit Neugier und Lust. »Also gut«, sagte sie. »Also gut.«
Er beugte den Kopf und küsste ihre nackten Brüste.
Teil 3
I m Zwielicht wirkte das schlafende Dorf Jansborg unheimlich. Die Bewohner schienen frühzeitig zu Bett zu gehen, deshalb lagen die Straßen verlassen da und die Hauser dunkel und still. Harald hatte das Gefühl, er führe durch einen Ort, in dem etwas Schreckliches geschehen war und er als Einziger nicht wusste, was.
Er stellte das Motorrad vor dem Bahnhof ab. Es wirkte nicht ganz so auffällig, wie er befurchtet hatte, denn gleich daneben parkte ein Opel Olympia mit Holzvergaser, ein Kabriolett, dessen Bretteraufbau, der den riesigen Sack mit Holzscheiten barg, wie eine Hütte über dem Rückfenster aufragte.
Harald ließ das Motorrad stehen und machte sich in der zunehmenden Dunkelheit zu Fuß auf den Weg zur Schule.
Nachdem der Soldat auf Sande das Pfarrhaus wieder verlassen hatte, war Harald wieder ins Bett gegangen und hatte bis zum Mittag fest geschlafen. Seine Mutter hatte ihn aufgeweckt, ihm ein üppiges Mittagsmahl aus kaltem Schweinebraten und Kartoffeln aufgetischt, ihm Geld zugesteckt und ihn gebeten, ihr zu sagen, wo er wohnte. Ihre Liebe und die unerwartete Milde seines Vaters hatten ihn nachgeben lassen: Er verriet ihr, dass er in Kirstenslot untergekommen war. Die verlassene Kirche hatte er dagegen aus Angst, sie könne sich Sorgen um seine Nachtruhe machen, nicht erwähnt und Mutter in dem Glauben gelassen, er sei ein Gast im Herrenhaus.
Dann hatte er sich wieder auf den Weg quer durch Dänemark gemacht, von West nach Ost. Nun, am Abend des darauf folgenden Tages, war er unterwegs zu seiner ehemaligen Schule.
Er hatte beschlossen, den Film selbst zu entwickeln, bevor er nach Kopenhagen zurückkehren und ihn Arne übergeben würde, der sich im Hause von Jens Toksvig versteckt hielt. Er wollte sicher sein, dass die Aufnahmen etwas geworden waren. Kameras konnten versagen, Fotografen Fehler machen. Er hatte keine Lust, Arne mit einem Film nach England fahren zu lassen, auf dem sich nur schwarze oder unscharfe Bilder befanden. Die Schule besaß eine eigene Dunkelkammer und alle Chemikalien, die zur Filmentwicklung gebraucht wurden. Tik Duchwitz war der Vorstand des Fotoklubs und hatte einen Schlüssel zu dem Raum.
Harald mied den Haupteingang, nahm eine Abkürzung über den benachbarten Bauernhof und schlich sich an den Ställen vorbei auf das Schulgelände. Es war zehn Uhr abends. Die kleineren Jungen mussten bereits schlafen, die mittleren Jahrgänge gingen wohl gerade ins Bett und nur die Älteren würden noch auf sein, sich aber schon in ihren Schlaf- und Studierzimmern befinden. Morgen war die Abschlussfeier, deshalb packten sie wohl alle ihre Koffer.
Auf dem Weg über das vertraute Gelände, vorbei an den verschiedenen Häusern, die er alle kannte, musste Harald gegen die Versuchung ankämpfen, sich verstohlen an Mauern entlangzuschleichen und geduckt über deckungslose Flächen zu huschen. Jeder zufällige Beobachter, der ihn ganz unbefangen und zielbewusst ausschreiten sah, würde ihn für einen älteren Schüler auf dem Weg zu seinem Zimmer halten. Überrascht stellte er fest, wie schwer er es fand, sich in eine Rolle zu versetzen, die ihm noch vor zehn Tagen ganz selbstverständlich gewesen war.
Er begegnete niemandem auf seinem Weg zum Roten Haus, in dem Tiks und Mads‘ Zimmer lagen. Auf der Treppe ins oberste Stockwerk gab es kein Versteck: Jeder, der ihn hier antraf, würde ihn sofort erkennen. Aber das Glück blieb ihm treu, und auch der obere Korridor lag verlassen da. Harald huschte an der Wohnung von
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