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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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– hielt sich so spät in der Nacht niemand auf, und als sich Haralds rasender Herzschlag wieder beruhigt hatte, wurde ihm klar, dass der Krach unbemerkt geblieben war.
    Mit dem Schuh schlug er die zackigen Reste der Glasscheibe aus dem Rahmen. Sie fielen nach innen und landeten auf einer Bank in einem Labor. Er streckte einen Arm durch das Loch und öffnete das Fenster. Um sich nicht an den Scherben zu schneiden, fegte er sie mit der anderen Hand, die noch immer mit dem Schuh bewehrt war, von der Bank. Dann kletterte er hinein.
    Tik folgte ihm, und sie schlossen das Fenster von innen.
    Sie befanden sich im Chemiesaal. Der beißende Gestank von Säuren und Ammoniak stieg Harald in die Nase. Sehen konnte er beinahe nichts, doch der Raum war ihm vertraut, und er fand den Weg zur Tür, ohne gegen eine Bank oder ein Pult zu rempeln. Er schlüpfte hinaus auf den Flur und stand gleich darauf schon vor der Dunkelkammer.
    Tik schloss die Tür hinter ihnen wieder ab und drehte das Licht an. Harald machte die beruhigende Feststellung, dass aus einer Dunkelkammer ebenso wenig Licht nach draußen dringen kann wie von außen nach innen.
    Tik krempelte die Ärmel hoch und begab sich an die Arbeit. Er ließ warmes Wasser in ein Bassin laufen und panschte mit den Chemikalien herum, die in einer Reihe von Krügen bereitstanden. Dann maß er die Wassertemperatur und ließ heißes Wasser dazulaufen, bis er zufrieden war. Harald verstand zwar die Grundlagen der Filmentwicklung, hatte sie aber in der Praxis noch nie ausprobiert. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als sich auf seinen Freund zu verlassen.
    Wenn nun irgendetwas schiefgegangen war? Hatte vielleicht der Kameraverschluss nicht richtig funktioniert? Hatte der Film einen Grauschleier, oder waren die Bilder verwackelt? Dann war alles umsonst gewesen, und das Ganze musste wiederholt werden. Würde er das nervlich durchstehen? Er sah sich schon wieder nach Sande fahren, im Dunkeln über den Zaun klettern, zur Radaranlage schleichen, bis Tagesanbruch warten, noch einmal sämtliche Aufnahmen machen und dann bei helllichtem Tag abhauen – alles wie gehabt. Nein, er wusste wirklich nicht, ob er noch einmal die Willensstärke dazu aufbringen würde.
    Als Tik alle Vorbereitungen getroffen hatte, stellte er eine Art Wecker und drehte das Licht aus. Harald saß geduldig im Dunkeln, während Tik den belichteten Film entrollte und mit der Entwicklung begann. Zunächst lege er, erklärte er Harald, den Film in ein Pyrogal- lol-Bad. Dabei komme es zu einer Reaktion mit den Silbersalzen, sodass sichtbare Bilder entstünden. Gemeinsam warteten sie, bis der Wecker klingelte, dann schwenkte Tik den Film in Essigsäure, um die chemische Reaktion zu beenden. Zum Schluss legte er den Film in ein Fixierbad.
    Endlich sagte er: »Das wär‘s.«
    Harald hielt den Atem an.
    Tik schaltete das Licht wieder an, und sekundenlang war Harald so benommen, dass er gar nichts sah. Nachdem sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, betrachtete er die ausgezogene, grauliche Filmrolle in Tiks Händen näher. Und dafür hatte er sein Leben aufs Spiel gesetzt? Tik hielt den Film gegen das Licht. Zunächst konnte Harald nichts erkennen und glaubte, er müsse die ganze Prozedur wiederholen. Doch dann fiel ihm ein, dass er ja ein Negativ vor sich hatte, auf dem das Schwarze weiß erschien und umgekehrt. Nun nahmen die Umrisse Gestalt für ihn an. Er erkannte das negative Abbild der großen rechteckigen Antenne, die schon bei der ersten Begegnung mit ihr vor vier Wochen seine Neugier erweckt hatte.
    Die Bilder waren gelungen!
    Erleichtert betrachtete er eines nach dem anderen: den rotierenden Sockel, die Kabelstränge, das Gitter, das er aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen hatte, die kleineren Geräte mit den nickenden Antennen, und schließlich das Überblicksfoto am Schluss, das er geknipst hatte, als ihn bereits die Panik zu überwältigen drohte. »Sie sind alle was geworden!«, sagte er triumphierend. »Sie sind großartig«
    Tik war ganz bleich. »Was sind das für Aufnahmen?«, fragte er mit vor Angst zittriger Stimme.
    »Ein paar neue Geräte, die die Deutschen erfunden haben, um Flugzeuge schon im Anflug aufspüren zu können.«
    »Hätte ich doch bloß nicht gefragt! Ist dir klar, welche Strafe auf das steht, was wir hier tun?«
    »Ich habe die Bilder aufgenommen.«
    »Und ich habe den Film entwickelt. Herrgott noch mal, dafür können sie mich aufhängen!«
    »Ich habe dir gesagt, dass es

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