Mitternachtsfalken: Roman
sollten mindestens fifty-fifty stehen.«
»Es muss doch einen Weg geben. Was hatte Arne denn vor?«
»Ich weiß nicht, er hat es mir nicht gesagt.«
»Das war dumm.«
»Aus heutiger Sicht vielleicht schon, aber er hat sich bestimmt gedacht, je weniger Leute Bescheid wissen, desto sicherer ist er.«
»Irgendwer muss es aber wissen.«
»Naja, Poul muss gewusst haben, wie er mit den Engländern Kontakt aufnehmen konnte – aber es liegt nun mal in der Natur dieser Dinge, dass sie geheim gehalten werden.«
Eine Zeit lang sagte keiner von beiden ein Wort. Harald war niedergeschlagen. Habe ich mein Leben für nichts und wieder nichts aufs Spiel gesetzt, dachte er und fragte Karen: »Hast du mal Nachrichten gehört?« Sein Radioapparat fehlte ihm.
»Finnland hat der Sowjetunion den Krieg erklärt. Ungarn ebenfalls.«
»Aasgeier, die den Tod wittern«, sagte Harald verbittert.
»Es macht mich wahnsinnig, hier herumzusitzen und zusehen zu müssen, wie diese widerlichen Nazis die ganze Welt erobern. Wenn wir doch bloß was tun könnten!«
Harald tastete nach dem Döschen in seiner Hosentasche. »Wenn ich diesen Film in den nächsten zehn Tagen nach London bringen könnte, sähe die Sache schon anders aus. Ganz anders.«
Karens Blick ruhte auf der Hornet Moth. »Ewig schade, dass das Ding da nicht mehr fliegen kann.«
Harald musterte das verbogene Fahrwerk und die rissige Bespannung. »Ich könnte sie vielleicht sogar reparieren – aber mit einer einzigen Flugstunde kann ich sie nicht fliegen.«
»Nein«, sagte Karen langsam. »Du nicht. Aber ich.«
A rne Olufsen erwies sich beim Verhör als erstaunlich hartnäckig.
Peter Flemming befragte ihn gleich nach seiner Verhaftung und noch einmal am nächsten Tag, doch Arne spielte den Unschuldigen und verriet keine Geheimnisse. Flemming war enttäuscht. Er hatte damit gerechnet, dass der ständig zu irgendwelchen Späßchen aufgelegte Arne so leicht zu brechen war wie ein Champagnerglas.
Mit Jens Toskvig hatte er ebenso wenig Glück.
Er erwog, Karen Duchwitz zu verhaften, verwarf die Idee aber wieder, weil Karen nach seiner Überzeugung nur ganz am Rande mit dem Fall zu tun hatte. Außerdem war sie ihm von größerem Nutzen, wenn sie frei herumlief – immerhin hatte sie ihn schon zu zwei Spionen geführt.
Arne war der Hauptverdächtige mit den entsprechenden Verbindungen: Er hatte Poul Kirke gekannt, er kannte sich auf Sande aus, er hatte eine Verlobte in England, er war nach Bornholm gefahren, das der schwedischen Küste so nahe war, und er hatte seinen polizeilichen Überwacher abgeschüttelt.
Durch die Verhaftung von Arne und Jens hatte Flemming bei General Braun wieder einen Stein im Brett. Doch Braun wollte jetzt Genaueres wissen: Wie der Spionagering arbeitete, wer noch dazugehörte, wie die Kommunikation mit England funktionierte. Insgesamt hatte Peter schon sechs Mitglieder der Bande verhaftet, doch keiner von ihnen hatte geredet. Der Fall konnte erst gelöst werden, wenn einer von ihnen zusammenbrach und auspackte. Deshalb musste Flemming Arne unbedingt zum Reden bringen.
Sein drittes Verhör mit ihm bereitete er sorgfältig vor.
Am Sonntag früh um vier Uhr marschierte er mit zwei Polizeibeamten in Arnes Zelle. Sie weckten ihn auf, indem sie ihn mit starken Taschenlampen blendeten, ihn anbrüllten, aus dem Bett zerrten und durch den Korridor ins Verhörzimmer schleppten.
Peter Flemming setzte sich auf den einzigen Stuhl hinter einem billigen Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Arne wirkte blass und verschreckt in seinem Gefängnis-Schlafanzug. Obwohl sein linkes Bein von der Mitte des Oberschenkels bis hinunter zum Schienbein bandagiert und verpflastert war, konnte er aufrecht stehen – die beiden Kugeln aus Flemmings Pistole hatten Muskeln durchschlagen, aber keine Knochen getroffen.
»Dein Freund Poul Kirke war ein Spion«, sagte Peter.
»Das hab ich nicht gewusst«, erwiderte Arne.
»Warum bist du nach Bornholm gefahren?«
»Ein kleiner Urlaub.«
»Was bewegt einen harmlosen Urlauber dazu, sich einer polizeilichen Überwachung zu entziehen?«
»Vielleicht hat er was dagegen, ständig von einem Haufen neugieriger Polypen verfolgt zu werden.« Trotz der frühen Stunde und der brutalen Weckaktion bewies Arne mehr Schlagfertigkeit und Witz, als Peter erwartet hatte. »Ganz abgesehen davon: Ich habe gar nicht gemerkt, dass ihr hinter mir her wart. Wenn ich mich also, wie du behauptest, der ›polizeilichen Überwachung entzogen habe‹,
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