Mitternachtsfalken: Roman
wirkte entsetzt.
Peter sagte: »Das war Harald, nicht wahr?«
Arne sagte nichts.
Peter Flemming lehnte sich zurück. Arne war jetzt verunsichert, doch insgesamt hatte er sich an eine geniale Verteidigungsstrategie gehalten. Für alles, was Peter ihm vorwarf, hatte er eine Erklärung, und schlimmer noch: Er hatte die persönliche Feindschaft zwischen ihnen mit der Behauptung, aus purer Bosheit verhaftet worden zu sein, zu seinem Vorteil genutzt. Frederik Juel mochte leichtgläubig genug sein, ihm das abzukaufen, und das bereitete Flemming Sorgen.
Tilde goss Tee in einen Becher und reichte ihn Arne, ohne Peter vorher zu fragen. Der sagte nichts dazu, denn das gehörte ebenfalls zum vereinbarten Spiel. Arne nahm den Becher mit zitternder Hand entgegen und trank durstig.
»Arne, Sie stecken bis zum Hals in dieser Geschichte«, sagte Tilde in freundlichem Ton. »Und es geht längst nicht mehr um Sie allein. Sie haben Ihre Eltern mit hineingezogen, Ihre Verlobte und Ihren jüngeren Bruder. Harald ist in großer Gefahr. Wenn er so weitermacht, endet er als Spion am Galgen – und Sie sind dran schuld.«
Arne umklammerte den Teebecher mit beiden Händen. Er sagte nichts, wirkte jedoch verwirrt und verängstigt. Der hält nicht mehr lange durch, dachte Peter.
»Wir machen Ihnen ein Angebot«, fuhr Tilde fort. »Sie sagen uns, was Sie wissen, und dafür bleibt Ihnen die Todesstrafe erspart, Ihnen und Harald. Sie brauchen mir nicht zu glauben – in ein paar Minuten wird General Braun hier sein und Ihnen eine entsprechende Garantie geben. Aber zuerst müssen Sie uns sagen, wo Harald sich aufhält. Falls Sie sich weigern, müssen Sie sterben. Und Ihr Bruder auch.«
Zweifel und Angst spiegelten sich in Arnes Miene. Minutenlang sagte keiner der Anwesenden ein Wort. Endlich schien sich Arne zu einer Entscheidung durchgerungen zu haben. Er streckte die Hand aus und stellte den Becher auf das Tablett. Sein Blick glitt von Tilde zu Peter. »Fahrt zur Hölle«, sagte er leise.
Peter sprang wütend auf. »Du bist derjenige, der zur Hölle fahren wird!«, brüllte er und schob seinen Stuhl so heftig zurück, dass er umkippte. »Kapierst du denn nicht, was los ist?«
Tilde stand auf und verließ wortlos den Raum.
»Wenn du den Mund nicht aufmachst, wirst du der Gestapo überstellt«, fuhr Peter aufgebracht fort. »Bei denen werden dir keine höflichen Fragen gestellt und du bekommst keinen heißen Tee serviert! Die reißen dir die Fingernägel raus und halten dir brennende Streichhölzer unter die Fußsohlen. Die schnallen dir Elektroden an die Lippen, jagen Saft durch und schütten dir dazu kaltes Wasser über den Kopf, damit die Stromschläge auch richtig wehtun. Die ziehen dich aus bis auf die nackte Haut und bearbeiten dich mit Vorschlaghämmern. Sie zertrümmern dir deine Fußknöchel und deine Kniescheiben, sodass du nie wieder gehen kannst, und schlagen dich windelweich, passen aber immer gut auf, dass du am Leben und bei Bewusstsein bleibst und nicht aufhörst zu schreien. Du wirst sie anflehen und darum betteln, dass sie dich verrecken lassen, aber den Gefallen tun sie dir erst, wenn du geredet hast. Und reden wirst du, darauf kannst du Gift nehmen. Am Ende redet jeder.«
»Ich weiß«, sagte Arne leise. Sein Gesicht war leichenblass.
Hinter Arnes Furcht erkannte Peter eine gelassene Resignation, die ihn überraschte. Was hatte das zu bedeuten?
Die Tür ging auf, und General Braun betrat das Verhörzimmer. Es war jetzt sechs Uhr, und Peter erwartete ihn: Sein Auftritt war mit ihm abgesprochen worden. In seiner blitzsauberen, frisch gestärkten Uniform mit umgeschnalltem Pistolenholster präsentierte er sich als Musterbild kalter Effizienz. Wie immer sorgten seine lädierten Lungen dafür, dass seine Stimme kaum mehr war als ein sanfter Flüsterton. »Ist das der Mann, der nach Deutschland geschickt werden soll?«, fragte er.
Arne reagierte trotz seiner Verletzung unglaublich schnell.
Peter Flemming, dessen Blick sich gerade auf den General richtete, nahm nur eine verschwommene Bewegung war, als Arne nach dem Tablett griff. Im nächsten Moment flog die schwere irdene Teekanne durch die Luft, traf Peter seitlich am Kopf, und der Tee spritzte über sein Gesicht. Als er ihn sich aus den Augen wischte, bekam er mit, wie Arne auf Braun losging. Obwohl er sich mit seinem verwundeten Bein nur unbeholfen bewegen konnte, gelang es ihm, den General zu Boden zu werfen. Peter sprang auf und wollte eingreifen, war aber zu
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