Mitternachtsfalken: Roman
langsam.
Arne brauchte nur die eine Sekunde, die General Braun, um Luft ringend, am Boden lag, um das Holster aufzuknöpfen und die Pistole herauszuziehen.
Dann fuhr er herum und richtete die Waffe beidhändig auf Peter.
Flemming blieb stehen wie festgefroren. Die Pistole war eine 9- mm-Luger, deren Magazin im Griff acht Schuss enthielt – aber war sie auch geladen? Oder trug Braun sie bloß aus Angeberei mit sich herum?
Arne kauerte noch immer am Boden, zog sich jedoch zurück, bis er die Wand erreichte und sich rückwärts daran hochschieben konnte.
Die Tür stand noch offen. Tilde kam herein und sagte: »Was ist denn hier.?«
»Stehen bleiben!«, schrie Arne.
Peter Flemming fragte sich unwillkürlich, wie vertraut Arne im Umgang mit Handfeuerwaffen sein mochte. Zwar war er Offizier, doch bei der Luftwaffe wurde vielleicht nicht allzu viel Wert auf regelmäßiges Pistolentraining gelegt.
Als hätte er die unausgesprochene Frage gehört, ließ Arne demonstrativ den Sicherheitshebel auf der linken Seite der Pistole zurückschnappen.
Hinter Tilde erkannte Peter die beiden uniformierten Polizisten, mit denen er Arne aus der Zelle geholt hatte. Beide waren unbewaffnet. Um genau das zu verhindern, was Arne soeben getan hatte, war es den Beamten strikt untersagt, im Zellentrakt Waffen zu tragen. Aber General Braun war der Meinung, dass ihn diese Vorschrift nichts anging, ganz abgesehen davon, dass kein Mensch im Präsidium den Mumm gehabt hätte, ihm gegenüber auf deren Einhaltung zu bestehen.
Jetzt waren sie alle Arne Olufsen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
»Du kommst nicht davon, Arne«, sagte Peter, »das weißt du selbst. Du befindest dich in der größten Polizeiwache des Landes. Du kannst uns hier in Schach halten, aber da draußen sind Dutzende von bewaffneten Polizisten. An denen kommst du nicht vorbei.«
»Ich weiß«, sagte Arne.
Wieder klang dieser ominöse, resignative Ton durch.
Tilde sagte: »Haben Sie wirklich vor, unter lauter unschuldigen dänischen Polizisten ein Blutbad anzurichten?«
»Nein, keineswegs.«
Peter begriff allmählich, worauf das alles hinauslief. Er erinnerte sich, was Arne zu ihm gesagt hatte, als er von seinen, Peters, Schüssen niedergestreckt vor ihm auf der Straße lag: Du blöder Hund! Du hättest mich erschießen sollen! Die fatalistische Haltung, die Arne seit seiner Verhaftung an den Tag gelegt hatte, passte ins gleiche Bild: Nichts fürchtete er mehr, als seine Freunde zu verraten – und womöglich sogar seinen eigenen Bruder.
Plötzlich wusste Flemming, was als Nächstes geschehen würde. Arne war fest davon überzeugt, dass ihn in seiner Situation nur noch der Tod vor Schlimmerem bewahren konnte. Peter dagegen wollte ihn von der Gestapo foltern lassen, bis er endlich auspackte, und deshalb durfte er ihn jetzt noch nicht sterben lassen.
Trotz der Pistole, die direkt auf ihn gerichtet war, ging Peter auf Arne los.
Aber Arne schoss nicht auf ihn. Vielmehr drehte er die Waffe um und drückte den Lauf an die weiche Haut unterhalb seines eigenen Kinns.
Peter stürzte sich auf Arne.
Ein Schuss fiel.
Peter schlug Arne die Pistole aus der Hand, aber es war zu spät. Blut und Hirnmasse schossen aus Arnes Schädeldecke und hinterließen einen fächerförmigen Fleck auf der weißen Wand hinter ihm, und als Peter stolperte und auf Arne fiel, spritzte ihm das blutige Gemisch ins Gesicht. Er rollte von dem Toten herunter und rappelte sich wieder auf.
Da Arnes Gesicht unverletzt geblieben war, hatte sich seine Miene seltsamerweise kaum verändert. Sie zeigte noch immer das gleiche ironische Lächeln wie in dem Augenblick, als Arne die Pistolenmündung an seine Kehle gedrückt hatte. Jetzt kippte seine Leiche zur Seite, und der zerschmetterte Hinterkopf schmierte einen roten Streifen an die Wand. Mit einem dumpfen Schlag traf der leblose Körper auf dem Boden auf und rührte sich nicht mehr.
Peter Flemming wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab.
General Braun kam wieder auf die Beine, rang aber noch immer um Luft.
Tilde Jespersen bückte sich und hob die Pistole auf.
Alle starrten die Leiche an.
»Tapferer Mann«, sagte General Braun.
A ls Harald erwachte, wusste er, dass etwas Wunderbares geschehen war, konnte sich aber nicht mehr erinnern, was. Er lag auf seinem Sims in der Kirchenapsis, Karens Decke um sich und den Kater Pinetop zusammengerollt vor seiner Brust. Er wartete, bis sein Gedächtnis wieder funktionierte. Seinem Gefühl nach war das
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