Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
weit er mit seiner Politik der Zusammenarbeit gehen wird«, gab Harald zurück. Er redete sich mehr und mehr in Rage. »Und wenn die Nazis mitten in der Nacht an Ihre Tür hämmern, ist es zu spät für eine Debatte, Heis!«
    Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle Heis Harald wegen ungebührlichen Benehmens zurechtweisen, doch dann besann er sich eines anderen und antwortete begütigend: »Sie haben eine interessante Frage aufgeworfen, Olufsen, und der Herr Abgeordnete hat Ihnen eine durchaus umfassende Antwort gegeben. Ich denke, das war eine recht anregende Diskussion. Aber nun wird es Zeit, dass Sie wieder in den Unterricht gehen. Lassen Sie uns zuvor aber noch unserem Gast dafür danken, dass er sich trotz seines sicher sehr gedrängten Terminplans die Zeit für diesen Besuch bei uns genommen hat.« Er hob die Hände zum Klatschen und erwartete, dass die Schüler es ihm nachtun würden.
    Doch Harald unterbrach ihn. »Sagen Sie ihm, er soll meine Frage beantworten!«, rief er. »Sollen wir uns organisieren und Widerstand leisten oder werden die Nazis bei uns tun und lassen können, was sie wollen? Herrgott noch mal, das ist doch viel wichtiger als alles, was Sie uns heute noch in der Schule beibringen können, oder?«
    Es wurde schlagartig still in der Turnhalle. Innerhalb vernünftiger Grenzen war es durchaus gestattet, mit dem Lehrkörper zu streiten, doch Harald hatte die Grenze zur Aufsässigkeit überschritten.
    »Ich denke, es ist besser, wenn Sie jetzt den Raum verlassen«, sagte Heis. »Raus. Wir sehen uns später noch.«
    Bei Harald brannte die letzte Sicherung durch. Kochend vor Zorn und Empörung stand er auf und stapfte, verfolgt von den Blicken der mucksmäuschenstillen Schulkameraden, zur Tür. Er wusste genau, dass er jetzt widerspruchslos verschwinden sollte, aber er konnte einfach nicht mehr an sich halten. An der Tür drehte er sich um und richtete anklagend den Zeigefinger auf Heis. »Die Gestapo wird sich den Teufel drum scheren, wenn Sie sie auf fordern, den Raum zu verlassen!«, schrie er.
    Dann ging er hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.

    U m halb sechs Uhr morgens klingelte der Wecker Peter Flemming aus dem Schlaf. Er brachte ihn zum Schweigen, machte Licht und setzte sich auf. Inge lag neben ihm auf dem Rücken und starrte, ausdruckslos wie eine Leiche, an die Decke. Flemming betrachtete sie einen Moment lang, dann stand er auf. Er schlurfte in die kleine Küche ihrer Kopenhagener Wohnung und drehte das Radio an. Ein dänischer Reporter verlas einen sentimentalen Nachruf der Deutschen auf Admiral Günther Lütjens, der vor zehn Tagen mitsamt dem Schlachtschiff Bismarck im Atlantik untergegangen war. Flemming stellte einen kleinen Topf mit Haferbrei auf den Herd und richtete ein Tablett. Er bestrich eine Scheibe Roggenbrot mit Butter und machte sich eine Tasse Ersatzkaffee heiß.
    Er war guten Mutes und zuversichtlich – und wusste plötzlich auch wieder warum. Gestern war ihm bei dem Fall, den er gerade bearbeitete, ein Durchbruch gelungen.
    Er war Inspektor im Sicherheitsdezernat, einer Abteilung der Kopenhagener Kriminalpolizei, deren Aufgabe es war, Gewerkschaftsfunktionäre, Kommunisten, Ausländer und andere potenzielle Unruhestifter unter Kontrolle zu halten. Sein Vorgesetzter, der Abteilungsleiter, war Kriminalrat Frederik Juel, ein ebenso intelligenter wie fauler Mensch. Er war an der berühmten Jansborg Skole erzogen worden und liebte das lateinische Sprichwort Quieta non movere – Lasst uns keine schlafenden Hunde wecken. Einer seiner Vorfahren war ein Held der dänischen Marine gewesen, doch schien seiner Sippe die Angriffslust längst abhanden gekommen.
    In den vergangenen vierzehn Monaten war der Aufgabenbereich der Abteilung erweitert worden: Zu den verdächtigen Elementen, die es im Auge zu behalten galt, gehörten inzwischen auch die Gegner der deutschen Besatzungsmacht.
    Das einzige sichtbare Zeichen von Widerstand waren bisher Untergrundgazetten wie Virkligheden, die der junge Olufsen bei sich gehabt und verloren hatte. Juel hielt die illegalen Zeitschriften für harmlos, ja er räumte ihnen sogar eine gewisse stabilisierende Funktion als Überdruckventil ein und weigerte sich, gegen die Verleger vorzugehen. Peter Flemming ärgerte sich maßlos über diese lasche Einstellung. Kriminelle auf freiem Fuß zu lassen, sodass sie ungestört ihren sinistren Machenschaften nachgehen konnten, kam ihm schlicht und einfach geisteskrank vor.
    Auch die Deutschen

Weitere Kostenlose Bücher