Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
an und rauchte in hastigen Zügen. Es war ein Versuch, sich zu beruhigen, doch selbst als er am Politigaarden, dem gewagt-modernen neuen Polizeipräsidium, ausstieg, war sein Zorn noch nicht verflogen. Erst der Anblick des Gebäudes besänftigte ihn: Die gedrungene, massige Struktur vermittelte den beruhigenden Eindruck von Kraft, die blendend weißen Mauern zeugten von Reinheit, und die gleichförmigen Fensterreihen standen für die Ordnung und zuverlässige Voraussagbarkeit der Justiz. Flemming schritt durch die düstere Eingangshalle. Versteckt im Zentrum des Gebäudes befand sich ein großer, offener, kreisrunder Innenhof mit einem Ring von Arkaden über einem Weg, der an den Kreuzgang eines Klosters erinnerte. Flemming ging quer durch den Innenhof und betrat sein Dezernat.
    Er wurde begrüßt von Kriminalmeisterin Tilde Jespersen, einer der wenigen Frauen in der Kopenhagener Polizei. Die junge Polizistenwitwe konnte es an Härte und Intelligenz mit jedem männlichen Kollegen in der Abteilung aufnehmen. Flemming setzte sie oft bei Observationen ein, eine Rolle, in der eine Frau weniger schnell Verdacht erregte. Mit ihren blauen Augen, dem blonden, gelockten Haar und einer kleinen, kurvenreichen Figur, die Frauen für zu dick, Männer aber für gerade richtig halten, war sie ziemlich attraktiv. »Hatte die Straßenbahn Verspätung?«, fragte sie mitfühlend.
    »Nein. Inges Pflegerin, diese hirnlose Gans, kam eine Viertelstunde zu spät.«
    »Oje!«
    »Irgendwas Neues?«
    »Ja, fürchte ich. General Braun ist bei Juel. Die beiden wollen Sie sehen, sobald Sie hier sind.«
    Das war Pech: Ausgerechnet an dem Tag, an dem Peter Flemming zu spät zur Arbeit kam, musste Braun auftauchen. »Verdammte Schwester«, murmelte er und machte sich auf den Weg in Juels Büro.
    Juels aufrechte Haltung und seine stechenden blauen Augen hätten auch seinem Vorfahren aus der Marine gut zu Gesicht gestanden. Um Braun entgegenzukommen, sprach er Deutsch. Alle gebildeten Dänen konnten sich auf Deutsch und Englisch verständlich machen. »Wo bleiben Sie, Flemming?«, fragte er. »Wir warten auf Sie!«
    »Ich bitte um Entschuldigung«, antwortete Peter, ebenfalls auf Deutsch, verzichtete aber auf eine Begründung: Ausreden waren würdelos.
    General Braun war ein Mann in den Vierzigern. Wahrscheinlich war er einmal recht gut aussehend gewesen, doch hatte die Explosion, die seinen Lungenflügel zerstört hatte, auch einen Teil seines Unterkiefers weggerissen, sodass die rechte Seite seines Gesichts deformiert war. Vielleicht lag es an seinem ramponierten Äußeren, dass er stets in einer makellosen Felduniform mit Schaftstiefeln und Pistolenholster auftrat.
    Im Gespräch war Braun höflich und vernünftig und seine Stimme leise, kaum mehr als ein Flüstern. »Seien Sie so gut und sehen Sie sich dies hier einmal an, Inspektor Flemming«, sagte er. Er hatte mehrere
    Zeitungen auf Juels Tisch gelegt. Sie waren alle aufgeschlagen und zeigten, wie Flemming sofort auffiel, alle den gleichen Bericht. Es ging um die Butterverknappung in Dänemark, an der, so die Reportage, die Deutschen schuld waren, weil sie sämtliche Vorräte nach Deutschland schafften. Bei den Zeitungen handelte es sich um den Toronto Globe and Mail, die Washington Post und die Los Angeles Times. Außerdem lag ein Exemplar der dänischen Untergrundzeitung Virkligheden auf dem Tisch – verglichen mit den etablierten Blättern schlecht gedruckt und mit amateurhafter Aufmachung, aber eben mit dem Originalartikel, den die anderen übernommen hatten. Das war ein kleiner Triumph für die feindliche Propaganda.
    »Die meisten Leute, die diese Blättchen herstellen, sind uns bekannt«, sagte Juel mit der ihm eigenen lässigen Selbstsicherheit, über die sich Flemming jedes Mal ärgerte. So, wie er sich aufführt, dachte er, könnte man meinen, nicht sein berühmter Vorfahr, sondern er selbst sei es gewesen, der in der Schlacht von Köge die schwedische Flotte besiegt hatte. »Wir könnten sie natürlich alle hochgehen lassen«, fuhr Juel fort, »aber ich lasse sie lieber in Ruhe und behalte sie im Auge. Sobald was Ernstes passiert, also zum Beispiel mal eine Brücke in die Luft fliegt oder so was, wissen wir ja, wo wir zugreifen müssen.«
    Flemming hielt das für idiotisch. Sofort sollten die Kerle verhaftet werden, damit eben keine Brücke in die Luft flog. Aber da er schon einmal mit Juel über diese Frage gestritten hatte, biss er jetzt die Zähne zusammen und verkniff sich jeden

Weitere Kostenlose Bücher