Mitternachtsfalken: Roman
Flemming.
Conrad folgte der Anordnung, und Flemming begann mit der Durchsuchung. Juel und Braun sahen ihm dabei über die Schulter, und viele Menschen verfolgten das Geschehen durch das Fenster der Abflughalle. Für einen kurzen Augenblick sah er sich schon vor aller Augen triumphierend das Corpus Delicti schwenken.
Die Koffer aus Krokodilleder waren vollgepackt mit teuren altmodischen Kleidern, die er auf den Boden warf. Im Matchsack befanden sich Rasierzeug, Unterwäsche zum Wechseln und ein perfekt gebügeltes Uniformhemd. Der braune Lederkoffer enthielt Papiere und Kleidung. Flemming überprüfte die Dokumente sorgfältig, konnte jedoch nichts Verdächtiges finden, vor allem keinerlei Zeitung.
Den billigen Koffer hatte er sich bis zuletzt aufgespart, weil er den offensichtlich weniger wohlhabenden der beiden Geschäftsleute am ehesten für den gesuchten Spion hielt.
Der Koffer war halb leer; er enthielt ein weißes Hemd und einen schwarzen Schlips und bestätigte damit die Angaben des Reisenden, dass er zu einer Beerdigung unterwegs war. Außerdem lag eine zerlesene Bibel im Koffer – aber keine Zeitung.
Es war zum Verzweifeln. Flemming sah seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden: Sie hatten für ihre Razzia den falschen Tag erwischt. Er ärgerte sich, dass er sich zu einer übereilten Aktion hatte drängen lassen, bezähmte seinen Zorn jedoch. Noch war die Durchsuchung nicht beendet.
Er zog ein Federmesser aus der Tasche, stieß es in die Innenverkleidung des ersten Koffers der alten Dame und schlitzte die weiße Seide auf. Dass Juel, überrascht von der plötzlichen Gewalt der Szene, vernehmlich murrte, störte Flemming nicht. Er schob seine Hände unter die aufgerissene Verkleidung, suchte Verborgenes, fand jedoch nichts, auch nicht in dem zweiten teuren Koffer. Er packte sich den Lederkoffer und verfuhr mit ihm genauso: nichts. Der billige Pappkoffer hatte keine Innenverkleidung und zeigte auch sonst keinerlei Hinweise auf ein Geheimfach. Rot vor Wut, Frustration und dem Gefühl, sich total blamiert zu haben, griff sich Flemming den Matchsack, schlitzte die Naht des Lederbodens auf, fasste hinein, tastete nach verborgenen Papieren – und fand wieder nichts.
Er blickte auf und sah, dass alle ihn anstarrten – General Braun, Juel, die Kollegen von der Polizei. Ihre Mienen verrieten ebenso Faszination wie einen Anflug von Furcht. Die halten mich schon für leicht verrückt, dachte er.
Zur Hölle damit!
»Vielleicht waren Ihre Informationen nicht korrekt, Flemming«, sagte Juel mit schleppender Stimme.
Das könnte dir so passen, dachte Flemming hasserfüllt. Aber er war noch nicht am Ende mit seinem Latein.
Sein Blick fiel auf Varde, der die Vorgänge durch das Fenster der Abflughalle verfolgte, und winkte ihn zu sich. Das Lächeln des Mannes wirkte mühsam, als er sah, wie das Gepäck der Passagiere zugerichtet war. »Wo ist der Postsack?«, fragte Flemming.
»In der Gepäckabfertigung.«
»Worauf warten Sie dann noch? Her damit, Sie Idiot!«
Varde schob ab. Mit einer angewiderten Geste deutete Flemming auf das Gepäck und sagte zu seinen Kollegen: »Sorgen Sie dafür, dass das Zeug hier verschwindet!«
Dresler und Ellegard packten die Koffer grob wieder ein, verschlossen sie und überließen sie einem Gepäckträger, der Anstalten traf, sie zu der Junkers zu bringen.
»Warten Sie!«, sagte Flemming, als der Mann die Koffer aufnahm. »Durchsuchen Sie ihn, Conrad!« Der Polizist durchsuchte den Gepäckträger, ohne etwas zu finden.
Varde kam mit dem Postsack. Flemming kippte die Briefe auf den Boden. Alle waren mit dem Stempel der Zensurbehörde versehen. Ein weißer und ein brauner Umschlag waren groß genug, um eine Zeitung zu enthalten. Er riss das weiße Kuvert auf. Es enthielt sechs Ausfertigungen eines juristischen Dokuments, eine Art Vertrag. Im braunen Kuvert befand sich der Katalog einer Kopenhagener Glasfabrik. Flemming fluchte vernehmlich.
Ein Servicewagen mit einem Tablett voller Brötchen und mehreren Kaffeekannen wurde zur Inspektion herangerollt. Er war Peters letzte Hoffnung. Der Inspektor nahm den Deckel von jeder Kanne und goss den Kaffee auf den Boden. Juel murmelte etwas wie: »Das ist doch überflüssig«, was Flemming in seiner Verzweiflung jedoch nicht kümmerte. Er riss die Leinenservietten weg, mit denen das Tablett bedeckt war, und stocherte zwischen den Brötchen herum. Dann nahm er, wütend über die Vergeblichkeit seiner Suche, das Tablett hoch und kippte die
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