Mitternachtsfalken: Roman
keine weitere Erklärung.
Peter fuhr jetzt schneller. Nach der nächsten Kurve ergab sich ein anderes Bild: Im Vordergrund kauerte Dresler in einem Gehölz am Straßenrand. Ungefähr hundert Meter weiter saß Arne auf einer kleinen Mauer und rauchte eine Zigarette. Peter blieb keine andere Möglichkeit mehr, als an den beiden vorbeizufahren. Nach etwa anderthalb Kilometern bog er rückwärts in einen Feldweg ein.
»Wollte er uns überprüfen – oder hat er bloß eine Zigarettenpause eingelegt?«, fragte Tilde.
Peter zuckte mit den Achseln.
Kurze Zeit später radelte Arne vorbei, gefolgt von Dresler. Peter bog wieder auf die Hauptstraße ein.
Allmählich brach die Abenddämmerung herein. Nach ungefähr fünf Kilometern kamen sie an eine Kreuzung – und stießen dort auf einen völlig ratlosen Dresler. Der Polizist war abgestiegen.
Von Arne war weit und breit nichts zu sehen.
Dresler kam zum Wagenfenster. Er machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. »Es tut mir Leid, Chef. Er legte plötzlich einen Sprint ein und hatte dann einen großen Vorsprung. Ich habe ihn aus den Augen verloren und weiß jetzt nicht, in welche Richtung er von hier aus weitergefahren ist.«
»Verdammt«, sagte Tilde. »Das muss er geplant haben! Offenbar kennt er sich hier gut aus.«
»Es tut mir Leid«, sagte Dresler noch einmal.
»Da geht sie dahin, die Beförderung«, flüsterte Tilde Peter Flemming zu, »Ihre und meine.«
»Kein Grund zum Verzweifeln«, sagte Peter. »Das klingt doch eigentlich ganz gut.«
Das konnte Tilde nicht verstehen. »Was meinen Sie damit?«, fragte
sie.
»Wie reagiert ein unschuldiger Mann, der das Gefühl hat, verfolgt zu werden? Er bleibt stehen, dreht sich um und sagt: ›Was fällt Ihnen eigentlich ein, mich zu verfolgen?‹ Nur ein Mensch, der was ausgefressen hat, schüttelt seine Verfolger bewusst ab. Merken Sie nicht, worauf ich hinaus will? Unser Verdacht hat sich bestätigt: Arne Olufsen ist ein Spion!«
»Aber wir haben ihn verloren.«
»Ach, das ist doch nicht tragisch. Den finden wir schon wieder.«
Die Nacht verbrachten sie in einem kleinen Strandhotel mit Gemeinschaftsbadezimmern am Ende jedes Korridors. Gegen Mitternacht zog Peter sich einen Morgenmantel über den Pyjama und klopfte an Tildes Tür, »Komm rein!«, rief sie. Er trat ein. Tilde saß auf dem Einzelbett. Sie trug ein hellblaues Seidennachthemd und las einen amerikanischen Roman mit dem Titel Vom Winde verweht.
»Du hast gar nicht gefragt, wer da klopft«, sagte Peter.
»Das wusste ich doch.«
Sein Fahnderblick registrierte, dass Tilde sich die Lippen geschminkt und ihre Haare sorgfältig gebürstet hatte. Außerdem roch es leicht nach ihrem blumigen Parfüm. Alles deutete darauf hin, dass sie sich für ein Rendezvous zurechtgemacht hatte. Er küsste ihre Lippen, und sie streichelte seinen Hinterkopf. Plötzlich drehte er sich irritiert um und sah zur Tür, unsicher, ob er sie auch wirklich hinter sich geschlossen hatte.
»Sie ist nicht da«, sagte Tilde.
»Wer?«
»Inge.«
Er küsste sie wieder, nur um ein paar Augenblicke später feststellen zu müssen, dass er keine Erregung verspürte. Er brach den Kuss ab und setzte sich auf die Bettkante.
»Mir geht‘s genauso«, sagte Tilde.
»Was meinst du damit?«
»Ich denke dauernd an Oskar.«
»Er ist tot.«
»Inge könnte auch tot sein.«
Er zuckte zusammen.
»Es tut mir Leid«, sagte Tilde. »Aber es stimmt. Ich denke an meinen Mann, und du denkst an deine Frau – doch den beiden ist das völlig egal.«
»Gestern Nacht in meiner Wohnung sah das ganz anders aus.«
»Da hatten wir auch noch nicht die Zeit, darüber nachzudenken.«
Das ist doch lächerlich, dachte er. Als junger Mann war er ein selbstbewusster Verführer gewesen, der vielen Frauen erfolgreich den Kopf verdreht und die meisten von ihnen sehr glücklich gemacht hatte. War er einfach nur aus der Übung?
Er streifte sich den Morgenmantel ab und schlüpfte zu Tilde ins
Bett. Sie war warm und einladend, ihr kurvenreicher Körper unter dem Nachthemd wunderbar weich unter seinen Berührungen. Tilde knipste das Licht aus. Peter küsste sie, aber die Leidenschaft der vergangenen Nacht konnte er nicht mehr entfachen.
Seite an Seite lagen sie in der Dunkelheit. »Schon gut«, sagte sie. »Du musst erst deine Vergangenheit bewältigen. Das ist nicht einfach für dich.«
Er küsste sie wieder, aber diesmal nur kurz. Dann stand er auf und kehrte in sein eigenes Zimmer zurück.
H aralds Leben lag in
Weitere Kostenlose Bücher