Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Subkontinent, um darüber
nachzudenken, wie ich um meine sommersprossige Eve freien sollte. «Vergiss Mittelsmänner», riet ich mir selbst, «das musst du persönlich erledigen.» Schließlich legte ich mir meinen Plan zurecht: Ich musste ihre Interessen teilen, ihre Leidenschaften zu den meinen machen ... Gewehre haben mir noch nie zugesagt. Ich beschloss, Radfahren zu lernen.
    Evie hatte in jenen Tagen den vielen Forderungen der Kinder oben vom Hügel nachgegeben, ihnen ihre Fahrradkünste beizubringen; deshalb konnte ich mich ohne weiteres der Schlange anschließen, die bei ihr Unterricht nehmen wollte. Wir versammelten uns in der Manege; Evie, oberste Herrin der Manege, stand inmitten von fünf wackligen, sich unbändig konzentrierenden Radfahrern, während ich neben ihr stand, ohne Fahrrad. Bis zu Evies Ankunft hatte ich kein Interesse an Rädern gezeigt, also hatte ich auch keins bekommen ... demütig erlitt ich die Peitschenhiebe von Evies Zunge.
    «Wo hast du bloß gelebt, Schmernase? Vermutlich willste meins borgen?»
    «Nein», log ich zerknirscht, und sie erbarmte sich. «Okay, okay», Evie zuckte die Schultern. «Steig auf, und dann wollnwirmasehn, aus was für ’nem Holz du geschnitzt bist.»
    Lassen Sie mich sofort klarstellen, dass ich, als ich auf das silberne Arjuna-India-Rad kletterte, vom höchsten Hochgefühl erfüllt war; und als Evie, das Fahrrad am Lenker festhaltend, rundundrundherum ging und rief. «Haste das Gleichgewicht noch nicht? Nein? Mann, willste etwa ein ganzes Jahr lang üben!» – als Evie und ich uns im Kreis bewegten –, fühlte ich mich ... wie sagt man? ... glücklich.
    Rundundrundund ... Schließlich stotterte ich, um ihr zu gefallen:«Gut ... ich glaube, ich ... lass mich», und augenblicklich war ich allein, sie hatte mich zum Abschied angestoßen, und das Silbergeschöpf flog glänzend und unkontrollierbar quer über die Zirkusmanege ...
    Ich hörte sie rufen: «Die Bremse! Brems doch endlich, du verdammter
Trottel!» – aber meine Hände konnten sich nicht rühren, ich war steif wie ein Brett geworden, und da, PASS AUF, vor mir war das blaue Zweirad von Sonny Ibrahim auf Kollisionskurs, AUS DEM WEG, DU IDIOT, Sonny im Sattel versuchte einen Schlenker zu machen und auszuweichen, aber trotzdem strömte Blau auf Silber zu‹ Sonny schwenkte nach rechts, aber ich nahm den gleichen Weg, AUAAA, MEIN RAD, und silbernes Rad berührte blaues, Rahmen küsste Rahmen, ich flog hoch und über den Lenker auf Sonny zu, der eine identische Parabel zu mir hin beschrieb, KRACH, fielen die Räder unter uns zur Erde, in intimer Umarmung verschlungen, KRACH, trafen Sonny und ich uns frei schwebend in der Luft, grüßte Sonnys Kopf den meinen ... Mehr als neun Jahre zuvor war ich mit Beulen an den Schläfen geboren worden und hatte Sonny durch eine Zange Dellen bekommen; alles hat seinen Grund, scheint es, denn nun fanden meine sich vorwölbenden Schläfen ihren Weg in Sonnys Dellen. Es passte genau. Mit ineinander gefügten Köpfen begannen wir unseren Abstieg zur Erde, stürzten zu Boden, zum Glück ein gutes Stück von den Rädern entfernt, WUMM, und für einen Augenblick versank die Welt.
    Dann Evie mit lodernden Sommersprossen: «O du kleine Missgeburt, du Rotzhaufen, kaputtgemacht hastes ...» Aber ich hörte nicht zu, denn der Unfall in der Manege hatte vollendet, was die Wäschetruhe-Katastrophe begonnen hatte, und sie waren nun vorne in meinem Kopf, nicht mehr ein gedämpftes Hintergrundgeräusch, das ich nie bemerkt hatte; sie alle schickten ihre Hier-binich-Signale aus, von Norden Süden Osten Westen ... die anderen Kinder, die zu jener Mitternachtsstunde geboren worden waren, riefen: «Ich», «ich», «ich» und «ich».
    «He! He, Rotzkopf! Alles okay? ... He, wo ist seine Mutter ?»

    Unterbrechungen, nichts als Unterbrechungen! Die verschiedenen Teile meines etwas komplizierten Lebens weigern sich mit vollkommen vernunftwidrigem Starrsinn, ordentlich in ihren getrennten Abteilen zu bleiben. Stimmen ergießen sich aus ihrem Uhrturm, um die Manege einzunehmen, die eigentlich Evies Domäne ist ... und nun, genau in dem Augenblick, in dem ich die sagenhaften Kinder des Ticktacks beschreiben sollte, trägt mich der Frontier Mail davon, zaubert mich fort in die verfallende Welt meiner Großeltern, sodass Aadam Aziz der natürlichen Entfaltung meiner Geschichte in die Quere kommt. Nun gut. Man muss die Dinge nehmen, wie sie sind.
    In jenem Januar nahmen meine