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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Unterhaltung eingeführt? (Warum verschwende ich in diesem Bericht Zeit auf unwichtiges Eingemachtes, wenn ich die Wahlen von 1957 beschreiben könnte – wenn vor einundzwanzig Jahren ganz Indien auf die Wahlen wartete?) Weil ich die Luft geschnüffelt habe und hinter dem bekümmerten Ausdruck meiner Besucher einen durchdringenden Hauch von Gefahr witterte. Ich habe vor, mich zu verteidigen, aber dazu bedarf ich der Hilfe von Chutney ...
    Bis jetzt habe ich Ihnen die Fabrik noch nicht bei Tageslicht gezeigt. Folgendes ist unbeschrieben geblieben: durch grün getönte Glasfenster blickt mein Zimmer auf einen eisernen Steg hinaus und dann hinunter auf die Kochebene, wo Kupferkessel brodeln und sieden, wo Frauen mit kräftigen Armen auf Holztreppchen stehen und mit langstieligen Schöpflöffeln durch den Picklesdunst rühren, der wie mit Messern in die Nase sticht; sieht man in die andere Richtung durch ein grün getöntes Fenster in die Welt hinaus, glänzen in der Morgensonne stumpf die Eisenbahnschienen, die in regelmäßigen Abständen von den chaotischen Signalbrücken des Stromsystems überspannt werden. Bei Tageslicht tanzt unsere safrangelbe-und-grüne Neongöttin nicht über den Fabriktoren; wir schalten sie ab, um Strom zu sparen. Aber Elektrozüge brauchen Strom: gelbe-und-braune Stadtbahnen rattern von Dadar und Borivli, von Kurla und der Bassein Road nach Süden zum Churchgate-Bahnhof. Menschliche Fliegen hängen in dicken, weißbehosten Trauben von den Zügen; ich leugne nicht, dass man auch innerhalb der Fabrikmauern ein paar Fliegen sehen kann. Aber es gibt auch Eidechsen, die das wettmachen, still hängen sie mit dem Kopf nach unten von der Decke, und ihre Kehle erinnert an die Halbinsel Kathiawar ... auch Geräusche warten schon darauf, gehört zu werden: Brodeln von Kesseln, lautes Singen, derbe Flüche, schlüpfrige Witze, erzählt von Frauen mit flaumigen Armen; die scharfnasigen, dünnlippigen Ermahnungen von Vorarbeiterinnen, das allgegenwärtige Klirren der Picklesgläser in dem angrenzenden Abfüllbetrieb, das Brausen von Zügen und das unregelmäßige, doch unvermeidliche Summen von Fliegen ... während grashüpfergrünes Chutney aus dem Kessel geholt und mir dann auf einem sauber gewischten Teller mit safrangelben und grünen Streifen am Rand gebracht wird, zusammen mit einem weiteren Teller, der mit Leckerbissen aus dem iranischen Laden um die Ecke beladen ist; während Was-nun-gezeigt-ist wie üblich weiterläuft und Was-nungehört-werden-kann die Luft erfüllt (ganz zu schweigen von dem,
was gerochen werden kann), stelle ich fest, allein in meinem Bett im Büro liegend, dass man Ausflüge vorschlägt, und zucke vor Schreck zusammen.
    «... Wenn du wieder bei Kräften bist», sagt jemand, der nicht genannt werden kann, «einen Tag nach Elephanta, warum nicht, eine kleine Fahrt mit dem Motorboot, und alle diese Höhlen mit den schönen Skulpturen, oder an den Strand von Juhu zum Schwimmen, und Kokosmilch gibt’s dort und Kamelrennen, oder sogar zur Aarey Milk Colony ...!» Und Padma: «Frische Luft, ja, und der Kleine ist bestimmt gern mit seinem Vater zusammen.» Und jemand, meinem Sohn über den Kopf streichend: «Ja, natürlich, wir gehen alle zusammen. Schönes Picknick, schöner Tag im Freien. Baba, das wird dir gut tun ...»
    Als das Chutney, vom Hausdiener getragen, in meinem Zimmer ankommt, beeile ich mich, diesen Vorschlägen einen Riegel vorzuschieben. «Nein», lehne ich ab, «ich habe zu arbeiten.» Und ich sehe, wie zwischen Padma und der Person ein Blick gewechselt wird, und ich erkenne, dass ich Recht hatte, misstrauisch zu sein. Denn schon einmal hat man mich mit Picknickangeboten hereingelegt! Schon einmal haben falsches Lächeln und Angebote, zur Aarey Milk Colony zu fahren, mich dazu verleitet, aus dem Haus zu gehen und in ein Auto zu steigen, und ehe ich wusste, wie mir geschah, waren da Hände, die mich ergriffen, Krankenhausflure und Ärzte und Schwestern, die mich festhielten, während eine Maske über meiner Nase Betäubungsmittel verströmte und eine Stimme sagte: Zähl jetzt, zähl bis zehn ... Ich weiß, was sie vorhaben. «Hört mal», sage ich zu ihnen, «ich brauche keine Ärzte.»
    Und Padma: «Ärzte? Wer redet denn von ...» Aber sie täuscht niemanden, und mit einem kleinen Lächeln sage ich: «Hier, nehmt alle etwas von dem Chutney. Ich habe euch ein paar wichtige Sachen zu erzählen.»
    Und während Chutney – das gleiche Chutney, das 1957 meine

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