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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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zweifelst, nun, ein wenig Zweifel ist nichts Schlechtes. Männer, die sich ihrer Sache ganz und gar sicher sind, vollbringen schreckliche Taten. Frauen auch. Unterdessen bin ich zehn Jahre alt und finde heraus, wie man sich im Kofferraum des Autos meiner Mutter versteckt.
    Das war der Monat, in dem Purushottam der Sadhu (dem ich von meinem Innenleben nie erzählt hatte) schließlich an seiner stationären Existenz verzweifelte und sich den selbstmörderischen Schluckauf zuzog, der ihn ein ganzes Jahr lang bedrängte, häufig seinen Körper mehrere Zentimeter vom Boden hochhob, sodass sein durchs Wasser kahl gewordener Kopf beängstigend gegen den Wasserhahn im Garten krachte, und ihn schließlich umbrachte. Eines Abends zur Cocktailstunde kippte er mit immer noch zum Lotossitz verschlungenen Beinen zur Seite weg, und für die Warzen meiner Mutter gab es keinerlei Hoffnung auf Heilung mehr. Es war der Monat, in dem ich abends oft im Garten von Buckingham Villa stand und zusah, wie die Sputniks den Himmel durchkreuzten, und mich dabei gleichzeitig froh und isoliert fühlte, wie die kleine Laika, der erste und immer noch einzige Hund, der in den Weltraum geschossen wurde (die Baroness Simki von der Heiden, die sich in Kürze die Syphilis holen sollte, saß neben mir und folgte mit ihren Schäferhundaugen dem hellen Nadelstich, der Sputnik II war) – es war eine Zeit großen hündischen Interesses am Kampf um die Vorherrschaft im All; in dem Evie Burns und ihre Bande meinen Uhrturm besetzten und Wäschetruhen sowohl verboten worden als auch mittlerweile zu klein waren, sodass ich um der Geheimhaltung und der geistigen Gesundheit willen gezwungen war, meine Besuche bei den Mitternachtskindern auf unsere private stille Stunde zu beschränken – ich besprach mich mit ihnen jede Mitternacht und nur um Mitternacht, in jener Stunde, die Wundern
vorbehalten ist, die irgendwie außerhalb der Zeit ist; und der Monat, in dem ich – um zur Sache zu kommen – beschloss, durch eigenen Augenschein die schreckliche Sache zu beweisen, die ich, vorne in den Gedanken meiner Mutter sitzend, erspäht hatte. Seit der Zeit, als ich in einer Wäschetruhe verborgen gelegen und zwei schockierende Silben gehört hatte, verdächtigte ich meine Mutter, Geheimnisse zu haben; meine Streifzüge in ihre Gedankengänge hatten meinen Verdacht bestätigt, sodass ich mit einem kühlen Glitzern in den Augen und mit stahlharter Entschlossenheit eines Nachmittags nach der Schule Sonny Ibrahim besuchte, um mich seiner Hilfe zu versichern.
    Ich fand Sonny, umgeben von spanischen Stierkampfplakaten, in seinem Zimmer vor, wo er verdrießlich für sich allein Zimmerkricket spielte. Als er mich sah, rief er mit unglücklicher Miene. «He, Mann, tut mir verdammt Leid wegen Evie, Mann, sie will auf keinen hören, was zum Teufel hast du ihr denn eigentlich getan?» ... Ich aber hielt eine würdevolle Hand hoch, gebot Stille, und es wurde still.
    «Jetzt ist keine Zeit für so was, Mann», sagte ich. «Es geht darum, dass ich wissen muss, wie man Schlösser ohne Schlüssel aufmacht. »
    Eine wahre Tatsache, Sonny Ibrahim betreffend: Trotz all seiner Stierkampfträume lag seine Begabung auf dem Gebiet der Mechanik. Schon seit einiger Zeit hatte er die Aufgabe übernommen, für Comics und Versorgung mit Limonade alle Fahrräder auf Methwold’s Estate zu warten. Selbst Evelyn Lilith Burns gab ihr geliebtes India-Rad in seine Obhut. Es sah so aus, als würden alle Maschinen durch das unschuldige Entzücken, mit dem er ihre beweglichen Teile liebkoste, freundlich gestimmt; kein Mechanismus konnte seiner Betreuung widerstehen. Um es anders auszudrücken: Sonny Ibrahim war (aus reinem Forschungstrieb) ein Experte im Knacken von Schlössern geworden.
    Als ihm nun eine Gelegenheit geboten wurde, mir seine Loyalität
zu beweisen, leuchteten seine Augen auf: «Brauchst mir bloß das Schloss zu zeigen, Mann! Bring mich hin!»
    Als wir sicher waren, dass uns keiner beobachtete, schlichen wir über die Auffahrt zwischen Buckingham Villa und Sonnys Sans Souci; wir stellten uns hinter den alten Rover meiner Familie, und ich zeigte auf den Kofferraum. «Das ist es», gab ich an. «Ich muss es von außen und auch von innen öffnen können.»
    Sonny bekam große Augen. «He, was hast du vor, Mann? Läufst du heimlich von zu Hause weg oder was?»
    Den Finger auf die Lippen gelegt, setzte ich eine geheimnisvolle Miene auf. «Kann ich nicht erklären, Sonny», sagte ich feierlich.

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