Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
penetranten länger anhaltenden beißenden Geruch des Hasses. (Nicht lange nach meiner Ankunft im Land der Reinen entdeckte ich in mir selbst die größte Unreinheit von allen, die der Schwesterliebe, und die langsam verbrennenden Feuer meiner Tante füllten meine Nasenlöcher von Anfang an.) Eine Nase vermittelt Ihnen Wissen, aber nicht Macht-über-die-Ereignisse; mein Einmarsch in Pakistan, bewaffnet (wenn dies das richtige Wort ist) nur mit einer neuen Manifestation meines nasalen Erbes, verlieh mir die Macht, die Wahrheit zu erschnüffeln, zu riechen, was in der Luft lag, Spuren zu folgen, nicht aber die einzige Macht, die ein Eindringling braucht – die Kraft, meine Feinde zu bezwingen.
Ich leugne es nicht: Ich vergab Karatschi nie, dass es nicht Bombaywar. Zwischen der Wüste und trüben, salzhaltigen Meeresarmen gelegen, deren Ufer mit verkrüppelten Mangroven bedeckt waren, schien meine neue Stadt von einer Hässlichkeit zu sein, die sogar die meine in den Schatten stellte. Sie war zu schnell gewachsen – ihre Bevölkerung hatte sich seit 1947 vervierfacht – und wirkte daher so unförmig klotzig wie ein riesiger Zwerg. Zu meinem sechzehnten Geburtstag bekam ich eine Lambretta geschenkt; und wenn ich auf meinem fensterlosen Fahrzeug durch die Straßen der Stadt fuhr, atmete ich die fatalistische Hoffnungslosigkeit der Slumbewohner und die selbstgefällige, abwehrende Haltung der Reichen ein; ich folgte den Geruchsspuren der Enteignung und auch des Fanatismus, wurde einen langen unterirdischen Gang hinuntergelockt, an
dessen Ende die Tür lag, die zu Tai Bibi führte, der ältesten Hure der Welt ... aber ich lasse die Zügel schießen. Im Herzen meines Karatschi lag Alia Aziz’ Haus, ein großes altes Gebäude in der Clayton Road (sie musste jahrelang wie ein Geist, der niemanden hatte, den er heimsuchen konnte, darin herumgewandert sein), ein Haus der Schatten und vergilbten Farbe, über das jeden Nachmittag der lange, anklagende Schatten des Minaretts der benachbarten Moschee fiel. Selbst als ich Jahre später im Getto der Magier im Schatten einer anderen Moschee lebte – einem Schatten, der, wenigstens eine Zeit lang, eine schützende, nicht bedrohliche Penumbra war -, legte ich nie meine aus Karatschi stammende Haltung gegenüber den Schatten von Moscheen ab, aus denen mir der engherzige, einengende, anklagende Geruch meiner Tante entgegenzuschlagen schien. Die ihre Zeit abwartete, deren Rache jedoch, als sie schließlich kam, vernichtend war.
Karatschi war in jenen Tagen eine Stadt der Miragen: Aus der Wüste gestampft, war es ihr doch nicht ganz gelungen, die Macht der Wüste zu zerstören. Oasen glänzten im Asphalt der Elphinstone Street, Karawansereien konnte man inmitten der Elendsquartiere um die schwarze Brücke, die Kala Pul, schimmern sehen. In der regenlosen Stadt (die mit der Stadt meiner Geburt nur gemeinsam hatte, dass auch sie als Fischerdorf begonnen hatte) behielt die verborgene Wüste ihr ursprüngliches Vermögen bei, Erscheinungen zu produzieren, mit dem Ergebnis, dass den Bewohnern Karatschis schnell die Realität entglitt und sie deshalb gern bereit waren, ihre Führer um Rat zu fragen, was wirklich war und was nicht. Bedrängt von imaginären Sanddünen und den Geistern einstiger Könige und auch von dem Wissen, dass der Name des Glaubens, auf dem die Stadt stand, «Unterwerfung» bedeutete, schieden meine neuen Mitbürger die faden gekochten Gerüche der Fügsamkeit aus, die deprimierend für eine Nase waren, die – ganz zum Schluss, so kurz es auch gewesen war – den höchst pikanten Nonkonformismus Bombays geschnuppert hatte.
Kurz nach unserer Ankunft – und vielleicht bedrückt durch die moscheenbeschattete Atmosphäre des Hauses in der Clayton Road – beschloss mein Vater, uns ein neues Heim zu bauen. Er kaufte ein Grundstück in der elegantesten der «Gesellschaften», den neuen Wohnungsbausiedlungen, und zu seinem sechzehnten Geburtstag bekam Saleem mehr als eine Lambretta – ich erfuhr von den übersinnlichen Fähigkeiten von Nabelschnüren.
Was hatte, in Salzlake eingelegt, sechzehn Jahre lang im Schrank meines Vaters gestanden und nur auf einen solchen Tag gewartet? Was hatte uns, wie eine Wasserschlange in einem alten Einmachglas schwimmend, auf unserer Seereise begleitet, nur um schließlich in harter, unfruchtbarer Karatschi-Erde begraben zu werden? Was hatte einst Leben in einem Leib genährt – was durchdrang nun die Erde mit wundersamem Leben
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