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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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was-wir-gemeinsam-hatten behielt die Möglichkeit bei, das-was-uns-trennte zu überwinden.
    Bis:
     
    Schweigen um mich her. Ein dunkler Raum (mit zugezogenen Jalousien). Kann nichts sehen (es gibt nichts zu sehen).
    Schweigen in mir. Eine Verbindung unterbrochen (für immer). Kann nichts hören (es gibt nichts zu hören).
    Schweigen, wie eine Wüste. Und eine gesäuberte freie Nase (Nasengänge voller Luft). Luft bricht wie ein Vandale in meine geheimen Orte ein.
    Dräniert. Man hat mich dräniert. Den Parahamsa am Fliegen gehindert. (Für alle Zeiten.)
    O sprich es aus, sprich es aus: Die Operation, deren vorgeblicher Zweck es war, meine entzündeten Nasennebenhöhlen zu dränieren
und meine Nasengänge ein für alle Mal zu säubern, hatte zur Folge, dass jegliche Verbindung, die in einer Wäschetruhe hergestellt worden war, unterbrochen wurde, ich meiner durch die Nase erhaltenen Telepathie beraubt wurde, ich der Fähigkeiten der Mitternachtskinder verlustig ging.
    In unserem Namen liegt unser Schicksal; da wir in einem Land leben, in dem Namen noch nicht, wie in der westlichen Welt, zur Bedeutungslosigkeit verkommen sind und noch immer mehr sind als bloßer Schall, sind wir auch die Opfer unserer Benennung. In Sinai steckt Ibn Sina, der Meisterzauberer, Adept des Sufismus, und zugleich Sin der Mond, der uralte Gott von Hadramaut, der seinen eigenen Verknüpfungsmodus hat, seine Macht, über Entfernungen hinweg auf die Gezeiten der Welt einzuwirken. Aber Sin ist auch der Buchstabe S, gekrümmt wie eine Schlange; Schlangen verbergen sich zusammengerollt in dem Namen. Und es gibt auch den Zufall der Transkription; zwar nicht in Nastaliq, doch in römischer Schrift ist Sinai auch die Bezeichnung des Orts-der-Offenbarung, des Zieh-deine-Schuhe aus, der Gebote und goldenen Kälber; doch letzten Endes, wenn Ibn Sina vergessen und der Mond untergegangen ist, wenn Schlangen verborgen liegen und Offenbarungen zu Ende gehen, ist es der Name der Wüste – der Einöde, der Unfruchtbarkeit, des Staubs; der Name für das Ende.
    In Arabien – Arabia deserta – predigten zur Zeit des Propheten Mohammed auch andere Propheten: Maslama vom Stamm der Banu Hanifa in der Jamama, dem Herzen Arabiens, und Hanzala ibn Safwan und Khalid ibn Sinan. Maslamas Gott war ar-Rahman, «der Barmherzige»; heute beten die Moslems zu Allah, ar-Rahman. Khalid ibn Sinan wurde zum Stamm der ’Abs gesandt; eine Weile folgte man ihm nach, dann wurde er vergessen. Propheten sind nicht immer falsche Propheten, einfach weil sie von der Geschichte überholt werden. Verdiente Männer haben stets die Wüste durchstreift.
     
    «Frau», sagte Ahmed Sinai, «dieses Land ist am Ende.» Nach der Waffenruhe und der Dränage suchten ihn diese Worte wiederholt heim, und Amina Sinai begann auf ihn einzureden, er solle nach Pakistan auswandern, wo sich ihre noch lebenden Schwestern bereits befanden und wohin ihre Mutter nach dem Tod ihres Vaters gehen sollte. «Ein neuer Anfang», schlug sie vor, «Janum, es wäre herrlich. Was bleibt uns schon auf diesem gottverlassenen Hügel?»
    So wurde Buckingham Villa am Ende doch noch den Klauen der Narlikar-Frauen ausgeliefert, und über fünfzehn Jahre zu spät zog meine Familie nach Pakistan, ins Land der Reinen. Ahmed Sinai ließ sehr wenig zurück; es gibt Möglichkeiten, Geld mithilfe multinationaler Gesellschaften zu verschieben, und mein Vater kannte diese Möglichkeiten. Und ich war zwar traurig darüber, die Stadt meiner Geburt zu verlassen, doch nicht unglücklich darüber, aus der Stadt wegzuziehen, in der Shiva irgendwo wie eine sorgfältig versteckte Tretmine lauerte.
    Wir verließen Bombay schließlich im Februar 1963, und am Tag unserer Abreise trug ich einen alten Blechglobus in den Garten und vergrub ihn zwischen den Kakteen. Darin waren: der Brief eines Ministerpräsidenten und ein riesengroßes Titelseitenfoto von einem Baby, überschrieben «Mitternachtskind» ... Es sind vielleicht keine Reliquien – ich maße mir nicht an, diese trivialen Erinnerungsstücke meines Lebens mit dem Haar des Propheten in Hazratbal oder mit dem Leichnam des heiligen Franz Xaver in der Kathedrale von Bom Jesus zu vergleichen – aber sie sind alles, was von meiner Vergangenheit überlebt hat: ein zerbeulter Blechglobus, ein stockfleckiger Brief, ein Foto. Sonst nichts, noch nicht einmal ein silberner Spucknapf. Abgesehen von einem vom Äffchen zertretenen Planeten sind die einzigen Aufzeichnungen in den verschlossenen

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