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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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von Kif verdrängten die Wahl aus ihren Köpfen und weigerten sich, über die zerbröselnde Gestalt Fatima Jinnahs, der mader-i-millat, das ist «Mutter der Nation», nachzudenken, die so brutal darauf bestanden hatte, bei der Wahl ihrer Kinder Verwirrung zu stiften.
    Auch in der Unterkunft der Gruppe um Jamila die Sängerin herrschte eitel Glück. Ihr Vater, ein Handtuchfabrikant, der die weiche Hand seiner Frau anscheinend nicht loslassen konnte, rief. «Seht ihr? Wessen Tochter tritt hier auf? Ist es ein Haroon-Mädchen? Eine Valika-Frau? Ist es eine Dawood- oder Saigol-Maid? Nicht die Spur!» ... Aber sein Sohn Saleem, ein unglückseliger Kerl mit einem Gesicht wie eine Karikatur, schien von tiefem Unbehagen erfasst zu sein – vielleicht bedrückte ihn die Vorstellung, am Schauplatz großer historischer Ereignisse zugegen zu sein; er warf seiner begabten Schwester Blicke zu, in denen etwas wie Scham lag.
    An jenem Nachmittag nahm Mutasim der Schöne Jamilas Bruder Saleem zur Seite und versuchte angestrengt, Freundschaft mit ihm zu schließen; er zeigte Saleem die Pfauen, die vor der Teilung aus Rajasthan eingeführt worden waren, und des Nawab kostbare Sammlung von Zauberbüchern, der er solche Zauberformeln und Beschwörungen entnahm, die ihm halfen, mit Weisheit zu regieren; und während Mutasim (der nicht der Intelligenteste oder Vorsichtigste war) Saleem zum Polofeld begleitete, gestand er, dass er eine Liebesbeschwörung auf ein Stück Pergament geschrieben habe, weil er hoffte, es gegen die Hand der berühmten Sängerin Jamila pressen und sie dadurch in sich verliebt machen zu können. Als er damit herausrückte, veränderte sich Saleems Miene, und er sah aus wie ein schlecht gelaunter Hund, er versuchte, sich abzuwenden, doch nun wollte Mutasim unbedingt wissen, wie Jamila die Sängerin in Wirklichkeit aussah. Saleem jedoch bewahrte Stillschweigen, bis Mutasim, von wilder Leidenschaft besessen, darum bat, er möge ihn in Jamilas Nähe führen, sodass er den Zauberspruch gegen ihre Hand pressen könne. Da sagte Saleem, dessen verschlagene Miene
dem von der Liebe befallenen Mutasim nicht auffiel: «Gib mir das Pergament!», und Mutasim, der sich mit der Geographie europäischer Städte auskannte, in Zauberdingen aber unerfahren war, gab seinen Zauberspruch an Saleem ab, weil er dachte, er würde sich auch dann noch zu seinen Gunsten auswirken, wenn er von jemand anderem angewandt würde.
    Der Abend senkte sich auf den Palast, der Wagenkonvoi, in dem General und Begum Zulfikar, ihr Sohn Zafar und ihre Freunde unterwegs waren, war ebenfalls im Anzug. Aber nun drehte der Wind sich und begann aus Norden zu wehen: ein kalter Wind und auch ein berauschender, denn im Norden von Kif lagen die besten Haschischfelder des Landes, und zu dieser Jahreszeit waren die weiblichen Pflanzen reif zur Paarung. Die Luft war vom Parfüm der berauschenden Lust der Pflanzen erfüllt, und alle, die es einatmeten, wurden bis zu einem gewissen Grad narkotisiert. Die undefinierbare Glückseligkeit der Pflanzen befiel die Fahrer des Konvois, der den Palast nur mit viel Glück erreichte, nachdem er eine Reihe Barbierstände am Straßenrand umgeworfen hatte und in mindestens einen Teeladen eingedrungen war, sodass die Kifs sich fragten, ob die neuen pferdelosen Kutschen nun auch noch ihre Häuser erobern würden, nachdem sie die Straßen gestohlen hatten.
    Der Nordwind drang in die riesige und überaus sensible Nase von Saleem, Jamilas Bruder, und machte ihn so träge, dass er in seinem Zimmer einschlief und die Ereignisse eines Abends verpasste, an dem der Haschaschinwind, wie er später erfuhr, das Benehmen der Gäste bei der Verlobungsfeier beeinflusste, sodass sie zwanghaft kicherten und einander aus Augen unter schweren Lidern aufreizend anblickten; Generäle mit Fangschnüren saßen breitbeinig auf vergoldeten Stühlen und träumten vom Paradies. Die Mehndi-Zeremonie fand inmitten einer so tiefen schläfrigen Zufriedenheit statt, dass es niemandem auffiel, als der Bräutigam sich so vollkommen entspannte, dass er in die Hosen machte; und sogar die streitenden Bösewichte von der COP hakten sich unter und sangen ein Volkslied.
Und als Mutasim der Schöne, beherrscht von der sinnlichen Begierde der Haschischpflanzen, sich hinter das große goldseidene Betttuch mit seinem einzelnen Loch stürzen wollte, hielt Major Alauddin Latif ihn mit glückseliger guter Laune davon ab und verhinderte, sogar ohne ihm die Nase blutig zu schlagen,

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