Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Verlobungsfeier ihres Vetters zu singen, fuhr das Auto sie ohne Behinderung von der Grenze zum Palast, und der Nawab sagte stolz: «Kein Problem, das Auto wird nun respektiert. Der Fortschritt ist eingetreten.»
Der Sohn des Nawab, Mutasim, der das Ausland bereist hatte und
einen so genannten Pilzkopf trug, war für seinen Vater ein Quell ständiger Sorge, denn obwohl er so gut aussah, dass bei seinen Reisen durch Kif Mädchen mit silbernem Nasenschmuck wegen der Glut seiner Schönheit in Ohnmacht sanken, schien er sich für solche Dinge nicht zu interessieren, sondern gab sich mit seinen Poloponys und der Gitarre zufrieden, der er seltsame westliche Lieder entlockte. Er trug Buschhemden, auf denen sich Noten und ausländische Straßenschilder gegen die halb bekleideten Körper rosahäutiger Mädchen drängten. Als aber Jamila die Sängerin, hinter einer Burqa aus Goldbrokat verborgen, im Palast eintraf, wurde Mutasim der Schöne – der wegen seiner Auslandsreisen nie das Gerücht von ihrer Entstellung gehört hatte – von der Idee besessen, er müsse ihr Gesicht sehen; er verliebte sich Hals über Kopf in die Blicke ihrer züchtigen Augen, die er durch ihr Laken mit dem Loch sah.
In jenen Tagen hatte der Präsident von Pakistan Wahlen angesetzt; sie sollten am Tag nach der Verlobungsfeier in Form eines Wahlrechts namens Basisdemokratie stattfinden. Die hundert Millionen Menschen Pakistans waren in einhundertzwanzigtausend annähernd gleich große Wahlkreise aufgeteilt worden, und jeder Teil wurde von einem Basisdemokraten repräsentiert. Das Wahlkollegium der einhundertzwanzigtausend «BD» sollte den Präsidenten wählen. In Kif schlossen die vierhundertzwanzig Basisdemokraten Mullahs, Straßenfeger, den Chauffeur des Nawab, zahlreiche Männer, die auf dem Grundbesitz des Nawab Haschisch in Halbpacht anbauten, und andere loyale Bürger ein; der Nawab hatte sie alle zur Hennazeremonie seiner Tochter eingeladen. Er war jedoch auch verpflichtet gewesen, zwei richtige Bösewichte, die Wahlleiter der Combined Opposition Party, der Vereinigten Oppositionspartei, einzuladen. Diese Bösewichte zankten sich ständig, doch der Nawab begrüßte sie höflich. «Heute Abend seid ihr meine verehrten Gäste», sagte er zu ihnen, «morgen ist ein anderer Tag.» Die Bösewichte aßen und tranken, als hätten sie nie zuvor Essen gesehen, aber jeder – selbst Mutasim der Schöne, dessen
Geduld begrenzter war als die seines Vaters – hatte den Auftrag, sie gut zu behandeln.
Die Vereinigte Oppositionspartei war, was Sie nicht überraschen wird, eine Ansammlung von Schurken und Schuften erster Güte, einig nur in ihrem Entschluss, den Präsidenten zu stürzen und zu den schlimmen alten Zeiten zurückzukehren, in denen Zivilisten und nicht Soldaten sich die Taschen mit Geldern aus der Staatskasse voll stopften; doch aus irgendeinem Grund waren sie an einen Furcht einflößenden Anführer geraten. Das war Fräulein Fatimah Jinnah, die Schwester des Begründers der Nation, eine Frau, die vom Alter so ausgedörrt war, dass der Nawab vermutete, sie sei schon vor langer Zeit gestorben und von einem Meisterpräparator ausgestopft worden – eine Auffassung, der auch sein Sohn anhing, der einen Film mit dem Titel El Cid gesehen hatte, in dem ein Toter eine Armee in die Schlacht führte ... doch da war sie jedenfalls, entschlossen, sich in den Wahlkampf zu stürzen, weil es dem Präsidenten nicht gelungen war, das Mausoleum ihres Bruders mit Marmor zu verkleiden; eine schreckliche Feindin, über Verleumdung und Verdächtigung erhaben. Man munkelte sogar, dass ihr Widerstand gegen den Präsidenten den Glauben der Menschen an ihn erschüttert habe – war er schließlich nicht die Wiederverkörperung der großen islamischen Helden der Vorzeit? Die Reinkarnation von Mohammed bin Sam Ghuri, von Iltutmish und den Moguln? Der Nawab hatte bemerkt, dass COP-Aufkleber an den seltsamsten Orten auftauchten; jemand hatte sogar die Frechheit gehabt, einen am Kofferraum seines Rolls zu befestigen. «Schlimme Zeiten», sagte der Nawab zu seinem Sohn. Mutasim antwortete: «Das hast du davon, dass du Wahlen angesetzt hast – Latrinenreiniger und schäbige Schneider sollen ihre Stimmen abgeben, um einen Herrscher zu wählen?»
Doch heute war ein Tag des Glücks; in den Frauengemächern überzogen Frauen Hände und Füße der Tochter des Nawab mit einem feinen Hennamuster; bald würden General Zulfikar und sein
Sohn Zafar eintreffen. Die Herrscher
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