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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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bis sie schließlich aus dem Boot geschleudert wurden, als die abebbende Welle es an einem Baumstumpf zerschlug. Als die Welle zurückging, saßen sie in einem überschwemmten Reisfeld, bis zur Hüfte im Wasser, doch lebendig, aus dem Herzen des Dschungels der Träume hinausgetragen, in den ich in der Hoffnung auf Frieden geflohen war und wo ich sowohl weniger als auch mehr gefunden hatte, und wieder einmal war ich in der Welt der Armeen und Daten.
     
    Als sie aus dem Dschungel auftauchten, schrieb man Oktober 1971. Und ich muss zugeben (obwohl die Tatsache meiner Meinung nach
nur meine Verwunderung über die zeitverschiebende Zauberkraft des Waldes verstärkt), dass in jenem Monat keine Flutwelle registriert wurde, obwohl ein Jahr zuvor Überschwemmungen das Gebiet in der Tat verheert hatten.
    Als ich zurückgekehrt war aus den Sundarbans, forderte mein altes Leben mich zurück. Ich hätte es wissen sollen: Alten Bekannten kann man nicht entkommen. Was man einmal war, das bleibt man für immer. Im Laufe des Jahres 1971 verschwanden drei Soldaten und ihr Spürhund für sieben Monate vom Angesicht der Erde. Im Oktober jedoch, als die Regenfälle aufhörten und die Guerillaeinheiten der Mukti Bahini pakistanische Militärvorposten zu terrorisieren begannen, als Heckenschützen der Mukti Bahini Soldaten und kleine Funktionäre gleichermaßen abschossen, tauchte unser Quartett aus der Unsichtbarkeit auf und versuchte, da ihm nicht viel anderes übrig blieb, sich wieder dem Gros der Besatzungstruppen aus dem Westflügel anzuschließen. Wenn er später befragt wurde, erklärte der Buddha sein Verschwinden stets mithilfe einer verzwickten Geschichte, in der davon die Rede war, wie er sich in einem Dschungel inmitten von Bäumen, deren Wurzeln nach einem schnappten wie Schlangen, verlaufen hatte. Vielleicht war es ein Glück für ihn, dass er nie von Offizieren der Armee, der er angehörte, offiziell verhört wurde. Auch Ayooba Baloch, Farooq Rashid und Shaheed Dar wurden keinem solchen Verhör unterzogen, doch in ihrem Fall lag das daran, dass sie nicht lange genug am Leben blieben, als dass man hätte Fragen stellen können.
    ... In einem vollkommen verlassenen Dorf mit strohgedeckten Hütten, deren Lehmwände mit Dung verputzt waren – in einer aufgegebenen Gemeinde, aus der sogar die Hühner geflohen waren -, beklagten Ayooba Shaheed Farooq ihr Schicksal. Vom giftigen Schlamm des Regenwaldes taub, ein Gebrechen, das sie nun, da die vorwurfsvollen Stimmen des Dschungels nicht mehr die Luft erfüllten, doch sehr aus der Fassung brachte, heulte jeder sein eigenes Klagelied, redeten alle auf einmal, wobei keiner den anderen
hörte; der Buddha jedoch war gezwungen, ihnen allen zuzuhören: Ayooba, der mit dem Gesicht zur Wand in einem kahlen Raum stand, sein Haar in einem Spinnennetz verheddert, und weinte: «Meine Ohren, meine Ohren, als ob Bienen darin summten», Farooq, der gereizt brüllte: «Wer hat nun überhaupt Schuld daran? – Wem seine Nase konnte jedes verdammte Ding aufspüren? – Wer hat gesagt, hier lang und dort lang? – Und wer, wer wird uns glauben? - Das mit den Dschungeln und den Tempeln und den durchsichtigen Schlangen? – Was für eine Geschichte, Allah; Buddha, wir sollten dich auf der Stelle erschießen!» Shaheed dagegen sprach leise: «Ich habe Hunger.» Nachdem sie wieder draußen in der wirklichen Welt waren, vergaßen sie die Lektionen des Dschungels, und Ayooba rief: «Mein Arm! Allah, Mann, mein lahmer Arm. Der Geist, aus dem Flüssigkeit ausgelaufen ist ...!» Und Shaheed: «Deserteure, werden sie sagen – mit leeren Händen, ohne einen Gefangenen, und das nach so vielen Monaten! – Allah, vielleicht kommen wir vors Kriegsgericht, was meinst du, Buddha?» Und Farooq: «Du Hund, siehst du, wie weit es mit uns gekommen ist? Und alles ist deine Schuld. O Gott, es ist nicht zum Aushalten, unsere Uniformen! Sieh dir unsere Uniformen an, Buddha – Fetzen und Lumpen wie die eines Bettlerjungen! Stell dir vor, was der Stabsoffizier – und dieser Najmuddin – beim Kopf meiner Mutter, ich schwöre, dass ich nicht – ich bin kein Feigling! Nein!» Und Shaheed, der Ameisen totmacht und sie von der flachen Hand ableckt: «Wie sollen wir überhaupt wieder zur Truppe stoßen? Wer weiß, wo die anderen sind und ob es sie überhaupt noch gibt? Schließlich haben wir gesehen und gehört, wie Mukti Bahini – peng! peng! sie schießen aus ihren Verstecken, und schon bist du tot! Tot wie eine

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