Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
viele mit um, auch mein Sohn. Ho ja, ihr Herren, ho ja wirklich.» Die Augen des Buddhas waren trüb und ausdruckslos geworden. In der Ferne konnte er das Krachen schwerer Artillerie hören. Rauchsäulen stiegen in den farblosen Dezemberhimmel auf. Die seltsamen Früchte lagen reglos da, eine leichte Brise war aufgekommen, doch nichts rührte sich ... «Ich bleiben hier, meine Herren. Hier ich kennen Name von Vögeln und Pflanzen. Ho ja. Deshmukh ist mein Name, Verkäufer von Kurzartikel mein Beruf. Ich verkaufen viele sehr feine Sachen. Wollen Sie? Medizin für Verstopfung, verdammt gut, ho ja. Ich haben. Wollen Sie Uhr, was glüht im Dunkeln? Ich auch haben. Und Buch, ho ja, und Witztrick, wirklich. Ich berühmt in Dacca früher. Ho ja, ganz wirklich. Nicht schießen.»
    Der Verkäufer von Kurzwaren plapperte weiter, bot einen Artikel nach dem anderen zum Verkauf an, wie zum Beispiel einen Zaubergürtel, der dem Träger die Fähigkeit verlieh, Hindi zu sprechen –«Ich jetzt tragen, mein Herr, sprechen verdammt gut, ja nicht? Viel indische Soldaten kaufen, sie sprechen so viele verschiedene Zungen, der Gürtel ist gottgesandt von Gott!» -, und dann bemerkte er, was der Buddha in der Hand hielt. «Ho Herr! Absolutes Meisterwerk! Ist Silber? Ist Edelstein? Sie geben; ich geben Radio, Fotoapparat, funktioniert beinah, mein Herr! Ist verdammt gutes Geschäft, mein Herr. Für nur ein Spucknapf, das ist verdammt gut.
Ho ja. Ho ja, mein Herr, Leben muss weitergehen; Handel muss weitergehen, mein Herr, richtig, nicht?»
    «Erzähl mir mehr», sagte der Buddha, «über den Soldaten mit den Knien.»
    Aber wieder summt nun eine Biene; in der Ferne, am anderen Ende des Feldes, fällt jemand auf die Knie, jemandes Stirn berührt den Boden, als bete er, und in dem Feld wird eine der Früchte, die noch lebendig genug war, um schießen zu können, auch sehr still. Shaheed Dar ruft einen Namen:
    «Farooq! Farooq, Mann!»
    Doch Farooq weigert sich zu antworten.
    Später, als der Buddha seinem Onkel Mustapha von seinen Kriegserlebnissen berichtete, erzählte er, wie er durch das Feld mit dem auslaufenden Knochenmark auf seinen gefallenen Kameraden zugestolpert war und wie er lange, bevor er zu Farooqs betender Leiche kam, vom größten Geheimnis des Feldes plötzlich aufgeschreckt wurde.
    In der Mitte des Feldes war eine kleine Pyramide. Ameisen krochen darüber hin, doch es war kein Ameisenhügel. Die Pyramide hatte sechs Füße und drei Köpfe, und dazwischen war ein Mischmasch aus Rumpfstücken, Uniformfetzen, Gedärmstücken, und hie und da sah man zerschmetterte Knochen. Die Pyramide lebte noch. Einer ihrer drei Köpfe war auf dem linken Auge blind – das Vermächtnis eines Kinderstreits. Ein weiterer hatte Haar, das dick mit Haaröl festgepappt war. Der dritte Kopf war der merkwürdigste: Er hatte tiefe Dellen, wo die Schläfen sein sollten, Dellen, die von einer Geburtszange stammen konnten, die ihn bei der Geburt zu fest gepackt hatte ... es war dieser dritte Kopf, der den Buddha ansprach.
    «Hallo, Mann», sagte er, «was zum Teufel tust du denn hier?» Shaheed Dar sah, wie die Pyramide aus feindlichen Soldaten sich anscheinend mit dem Buddha unterhielt; Shaheed, plötzlich von unsinniger Energie ergriffen, stürzte sich auf mich und stieß mich
zu Boden: «Wer bist du? – Spion? Verräter? Was? – Wieso wissen sie, wer du ...?» Während Deshmukh, der Verkäufer von Kurzwaren, mitleidsvoll um uns herumflatterte: «Ho, ihr Herren! Schon genug gekämpft. Seid normal jetzt, meine Herren. Ich bitte. Ho Gott.» Selbst wenn Shaheed mich hätte hören können, hätte ich ihm damals das nicht sagen können, wovon ich später überzeugt war: dass der Zweck dieses ganzen Krieges gewesen war, mich wieder mit einem alten Leben zu vereinigen, mich wieder mit meinen alten Freunden zusammenzubringen. Sam Manekshaw marschierte auf Dacca, um seinen alten Freund, den Tiger, zu treffen; und die Verknüpfungsmodi wirkten noch nach, denn auf dem Feld des auslaufenden Knochenmarks hörte ich von den Heldentaten von Knien und wurde von einer sterbenden Pyramide aus Köpfen begrüßt; und in Dacca sollte ich Parvati-der-Hexe begegnen.
    Als Shaheed sich beruhigte und von mir abließ, war die Pyramide nicht mehr in der Lage zu sprechen. Später, am selben Nachmittag, nahmen wir unsere Reise zur Hauptstadt wieder auf. Deshmukh, der Verkäufer von Kurzwaren, rief uns fröhlich nach: «Ho, Ihr Herren! Ho, meine armen Herren! Wer weiß, wann

Weitere Kostenlose Bücher