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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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in den Nacken. Aus seiner Kehle drang ein plopsendes Geräusch, und er fiel vornüber auf mich. Die Kugel des Heckenschützen, die Ayooba tötete, hätte, wäre er nicht da gewesen, meinen Kopf durchschlagen. Im Sterben rettete er mir das Leben.
    Ich vergaß vergangene Demütigungen, ließ fair-und-unfair und man-muss-die-Dinge-nehmen-wie-sie-kommen beiseite und kroch unter der Leiche von Ayooba-dem-Panzer hervor, während Farooq schrie: «O Gott, o Gott, oh!», und Shaheed sagte: «Allah, ich weiß noch nicht mal, ob mein Gewehr ...» Und dann wieder Farooq: «O Gott, oh! O Gott, wer weiß, wo der Bastard ist ...!» Doch Shaheed steht, wie man es bei Soldaten im Film sieht, flach gegen die Wand neben dem Fenster gepresst. In diesen Stellungen: Ich auf dem Boden, Farooq in eine Ecke gekauert, Shaheed gegen Dungverputz gepresst, warteten wir hilflos auf das, was passieren würde.
    Es kam kein zweiter Schuss; vielleicht hatte der Heckenschütze, weil er die Stärke der Truppe nicht kannte, die sich in der Lehmhütte verbarg, einfach geschossen und war weggelaufen. Wir drei blieben eine Nacht und einen Tag in der Hütte, bis die Leiche Ayooba Balochs unsere Beachtung forderte. Bevor wir weggingen, trieben wir eine Hacke auf und begruben ihn ... Und danach, als die indische Armee tatsächlich kam, begrüßte kein Ayooba Baloch sie mit seinen Theorien von der Überlegenheit des Fleisches über Gemüse, kein Ayooba ging mit dem Ruf «Schra-bumm! Schra-bamm! Schra-proch! »ins Gefecht. Vielleicht war es auch besser so.
     
    ... Und irgendwann im Dezember erreichten wir drei auf gestohlenen Fahrrädern ein Feld, von dem aus man die Stadt Dacca am Horizont sehen konnte; ein Feld, auf dem so seltsame, so Ekel erregend stinkende Frucht wuchs, dass wir uns nicht auf den Fahrrädern
halten konnten. Um nicht herunterzufallen, stiegen wir ab und betraten das schreckliche Feld.
    Ein Bauer ging mit einem riesigen Jutesack auf dem Rücken umher, räumte auf und pfiff dabei vor sich hin. Die weiß verfärbten Knöchel der Hand, die den Sack umklammerten, verrieten seine Entschlossenheit; das Pfeifen, das durchdringend, aber melodiös war, zeigte, dass er den Mut nicht sinken ließ. Das Pfeifen hallte im Feld wider, prallte von heruntergefallenen Helmen ab, wurde von den Läufen schlammverstopfter Gewehre dumpf zurückgeworfen und versank spurlos in den verstreut am Boden liegenden Stiefeln der seltsamen, ach so seltsamen Früchte, deren Geruch dem Buddha Tränen in die Augen trieb, so wie ihm auch die Tränen kamen, wenn er Unfairness roch. Die Früchte waren tot, von irgendeiner unbekannten Fäulnis befallen ... und die meisten von ihnen, doch nicht alle, trugen die Uniform der westpakistanischen Armee. Abgesehen von dem Pfeifen hörte man nur, wie Gegenstände in den Schatzsack des Bauern fielen: Ledergürtel, Uhren, goldene Zahnfüllungen, Brillengestelle, Tiffin-Behälter, Feldflaschen, Stiefel. Der Bauer sah sie und kam auf sie zugelaufen; er lächelte gewinnend und sprach schnell, mit einer einschmeichelnden Stimme, die nur der Buddha hören musste. Farooq und Shaheed starrten mit glasigen Augen auf das Feld, während der Bauer mit seinen Erklärungen begann.
    «Viel Schießen. Peng! Peng! » Mit der rechten Hand bildete er eine Pistole. Er sprach schlechtes, gestelztes Hindi. «Ho, ihr Herren! Indien ist gekommen, meine Herren! Ho ja! Ho ja.» – Und auf dem ganzen Feld tröpfelte nahrhaftes Knochenmark aus den Früchten in die Erde, während er sagte: «Ich nicht schießen, meine Herren. Ho nein. Ich haben Neuigkeiten – ho, solche Neuigkeiten! Indien kommt! Jessore ist gefallen, meine Herren; in ein vier Tagen auch Dacca, ja nicht?» Der Buddha hörte zu, die Augen des Buddhas sahen über den Bauern hinweg auf das Feld. «Solche Sachen, mein Herr! Indien! Sie haben mächtigen Soldatenkerl,
der kann sechs Menschen auf einmal totmachen, zerbricht Hälse krick-krack zwischen Knien, meine Herren. Knie – heißt richtig so?» Er klopfte sich auf seine eigenen. «Ich habe sehen, meine Herren. Mit diese Augen, ho ja! Der kämpft nicht mit Gewehr, nicht mit Schwert. Mit Knien, und sechs Hälse machen krick-krack. Ho Gott!» Shaheed übergab sich ins Feld. Farooq Rashid war zum anderen Ende des Feldes gegangen und starrte in ein Mangobaumdickicht.«Ein, zwei Wochen, dann ist Krieg vorbei, meine Herren. Alle zurückkommen. Jetzt alle fort, aber ich nicht, meine Herren! Soldaten sind gekommen, suchen nach Bahini und bringen

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