Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Ameise!» Doch auch Farooq redet: «Und nicht bloß die Uniformen, Mann, die Haare! Ist das ein militärischer Haarschnitt? Das hier, was so lang über die Ohren fällt wie Würmer? Diese Frauenhaare?
Allah, die machen uns mausetot – gegen die Wand und peng! peng! – wirst schon sehen, ob ich Recht hab’!» Doch nun beruhigt
sich Ayooba-der-Panzer; Ayooba verbirgt sein Gesicht in den Händen; Ayooba sagt leise zu sich selbst «O Mann, o Mann, ich bin gekommen, um diese verdammten vegetarischen Hindus zu bekämpfen, Mann. Und das hier ist ganz was anderes, Mann. Zu schlimm.»
Es ist irgendwann im November; langsam sind sie nach Norden Norden Norden vorgedrungen, an umherflatterndem Zeitungspapier mit seltsam verschnörkelter Schrift vorbei, durch leere Felder und verlassene Siedlungen, gelegentlich ein altes Weib überholend, das ein Bündel an einem Stock über der Schulter trug, oder eine Gruppe Achtjähriger, aus deren verschlagenem Blick der Hunger sprach, und die bedrohliche Messer in ihren Taschen verbargen. Sie haben gehört, wie die Mukti Bahini unsichtbar durch das qualmende Land ziehen, wie Kugeln summend wie Bienen-aus-dem-Nichts kommen ... und nun sind sie am Ende ihrer Kräfte, und Farooq sagt: «Wenn du nicht gewesen wärst, Buddha – Allah, du Monster mit deinen blauen ausländischen Augen. O Gott, Yaar, wie du stinkst !»
Wir alle stinken: Shaheed, der (mit seinem zerfetzten Stiefelabsatz) einen Skorpion auf dem schmutzigen Fußboden der verlassenen Hütte zertritt; Farooq, der unsinnigerweise nach einem Messer sucht, mit dem er sich die Haare schneiden kann; Ayooba, der den Kopf gegen eine Wand der Hütte lehnt, während eine Spinne auf seinem Scheitel entlangläuft; und der Buddha auch: Der Buddha, der zum Himmel stinkt, umklammert mit der rechten Hand einen angelaufenen silbernen Spucknapf und versucht, sich an seinen Namen zu erinnern. Und kann sich nur auf Spitznamen besinnen: Rotznase, Fleckengesicht, Kahlkopf, Schnüffler, Scheibe-vom-Mond.
... Mit untergeschlagenen Beinen saß er mitten im Jammersturm der Angst seiner Gefährten und zwang sich, seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen; aber nein, nichts wollte kommen. Und endlich schleuderte der Buddha den Spucknapf auf den Lehmboden
und rief vor stocktauben Ohren aus: «Es ist nicht – NICHT – FAIR! »
Mitten im Chaos des Krieges entdeckte ich fair-und-unfair. Unfairness roch wie Zwiebeln; die Schärfe ihres Duftes trieb mir die Tränen in die Augen. Vom bitteren Aroma der Ungerechtigkeit überwältigt, erinnerte ich mich daran, wie Jamila die Sängerin sich über ein Krankenhausbett gebeugt hatte – wessen Bett? Welcher Name? – wie auch Orden-und-Epauletten dabei waren – wie meine Schwester – nein, nicht meine Schwester! wie sie – gesagt hatte: «Bruder, ich muss weggehen, um im Dienst des Vaterlandes zu singen; die Armee wird sich von nun an um dich kümmern – um meinetwillen wird man sich so gut um dich kümmern.» Sie war verschleiert; hinter weiß-goldenem Brokat roch ich ihr Verräterinnenlächeln; durch weichen Schleierstoff pflanzte sie den Kuss der Rache auf meine Schläfe; und dann überließ sie, die schon immer schreckliche Rache an denen geübt hatte, die sie am meisten liebten, mich der Fürsorge von Epauletten-und-Orden ... und nach Jamilas Verrat erinnerte ich mich, wie ich vor langer Zeit von Evie Burns verstoßen worden war, erinnerte mich der Exile und Picknicktricks und des ganzen ungeheuren Bergs unsinniger Vorfälle, die mir das Leben schwer gemacht hatten; und nun beklagte ich Gurkennase, Fleckengesicht, O-Beine, Schläfenhörner, Mönchstonsur, Fingerverlust, Ein-schlechtes-Ohr und den gefühllos machenden, Kopf einschlagenden Spucknapf; ich weinte jetzt ungehemmt, doch mein Name entzog sich mir immer noch, und ich wiederholte: «Nicht fair, nicht fair, NICHT FAIR!» Und überraschenderweise kam Ayooba-der-Panzer aus seiner Ecke; Ayooba, der sich vielleicht an seinen eigenen Zusammenbruch in den Sundarbans erinnerte, hockte sich vor mich und legte seinen gesunden Arm um meinen Hals. Ich nahm seine Tröstungen hin, ich weinte in sein Hemd, doch dann war da eine Biene, die auf uns zusummte; während er mit dem Rücken zum glaslosen Fenster der Hütte hockte, kam etwas winselnd durch die überhitzte Luft geschossen;
während er sagte: «He, Buddha – komm schon, Buddha – he, he!», und während andere Bienen, die Bienen der Taubheit, in seinen Ohren summten, stach ihn etwas
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