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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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nicht erzählst ?»

Eine öffentliche Ankündigung
    Es folgte ein Januar voller Illusionen, eine Zeit, die an der Oberfläche so still war, dass 1947 überhaupt nicht begonnen zu haben schien. (Während in Wirklichkeit natürlich ...) In der die Kabinettsmission  – der alte Pethick-Lawrence, der clevere Cripps, der militärische A. V. Alexander – zusah, wie ihr Plan für die Machtübergabe fehlschlug. (Aber natürlich waren es in Wirklichkeit nur noch sechs Monate bis ...) In der der Vizekönig, Wavell, begriff, dass er am Ende gestrandet war oder, um es mit unserem ausdrucksstarken Wort zu bezeichnen, funtoosh. (Was in Wirklichkeit natürlich nur alles beschleunigte, denn das brachte den letzten Vizekönig ins Spiel, der ...) In der Attlee zu sehr damit beschäftigt schien, mit Aung Sam über die Zukunft Birmas zu entscheiden. (Während er in Wirklichkeit natürlich den letzten Vizekönig einwies, bevor er seine Ernennung verkündete; und der zukünftige letzte Vizekönig den König besuchte und mit absoluten Vollmachten ausgestattet wurde, sodass bald, bald ...) In der die verfassunggebende Versammlung sich selbst vertagt hatte, ohne sich auf eine Verfassung zu einigen. (Aber in Wirklichkeit konnte jederzeit Earl Mountbatten, der letzte Vizekönig, mit seinem unerbittlichen Ticktack, seinem Soldatenmesser, das Subkontinente in drei Teile schneiden konnte, und seiner Frau bei uns eintreffen, die, hinter einer Toilettentür eingeschlossen, heimlich Hühnerbrüste aß.) Und mitten in der spiegelglatten Stille< durch die man unmöglich das Mahlen der großen Maschinen sehen konnte, wachte meine Mutter, die nagelneue Amina Sinai, die ebenfalls still und unveränderlich aussah, obwohl sich große Dinge unter ihrer Haut taten, eines Morgens mit einem Kopf auf, der von Schlaflosigkeit brummte, und einer Zunge, die
dick belegt war mit ungeschlafenem Schlaf. Und sie merkte, wie sie, ohne es zu wollen, laut sagte: «Was macht die Sonne denn hier, Allah? Sie ist an der falschen Seite aufgegangen.»
    ... Ich muss mich unterbrechen. Das wollte ich heute nicht, denn Padma hat angefangen, böse zu werden, wenn meine Erzählung sich ihrer selbst bewusst wird, wenn ich wie ein unfähiger Puppenspieler die Hände zeige, die die Fäden halten, aber ich muss einfach einen Protest kundtun. Indem ich in ein Kapitel einbreche, das ich dank eines glücklichen Zufalls «Eine öffentliche Ankündigung» genannt habe, erteile ich also (so deutlich wie möglich) folgende allgemeinmedizinische Warnung: «Ein gewisser Doktor N. Q. Baligga», möchte ich – von den Dächern! durch die Lautsprecher der Minarette! – verkünden, «ist ein Quacksalber. Er sollte eingesperrt, ausgelöscht, aus dem Fenster gestürzt werden. Oder schlimmer noch: seiner eigenen Quacksalberei überantwortet werden, durch eine falsch verschriebene Pille überall lepröse Geschwüre bekommen. Verdammter Narr», unterstreiche ich mein Anliegen, «kann noch nicht einmal erkennen, was man ihm unter die Nase hält.»
    Nachdem ich Dampf abgelassen habe, muss ich meine Mutter mit ihrer Sorge um das seltsame Benehmen der Sonne noch einen Augenblick lang allein lassen, um zu erklären, dass unsere Padma, erschreckt durch meine Hinweise auf Risse und Zusammenbrüche, sich heimlich diesem Baligga – diesem Jujumann! diesem Kräuter-Wallah  – anvertraut hat und dass infolgedessen dieser Scharlatan vorbeikam, den mit einer Beschreibung zu würdigen ich mich nicht herablasse. Ich ließ in aller Unschuld und um Padmas willen zu, dass er mich untersuchte. Ich hätte das Schlimmste befürchten sollen, denn das Schlimmste tat er. Glauben Sie es nur, wenn Sie können: Der Betrüger hat mich für ganz erklärt! «Ich sehe keine Risse», intonierte er düster und unterschied sich von Nelson in Kopenhagen darin, dass er auf keinem Auge sehen konnte, seine Blindheit nicht die Wahl eines starrsinnigen Genies, sondern der unvermeidliche Fluch seiner Torheit war! Blind stellte er meinen Geisteszustand in
Frage und streute Zweifel aus in Bezug auf meine Zuverlässigkeit als Zeuge und Gottweißwasnoch: «Ich sehe keine Risse.»
    Am Ende scheuchte Padma ihn fort. «Lassen Sie’s gut sein, Doktor Sahib», sagte Padma, «wir kümmern uns selbst um ihn.» Auf ihrem Gesicht sah ich eine Art dumpfer Schulderkenntnis ... Abgang Baligga, der nie wieder auf diese Seiten zurückkehren wird. Aber guter Gott! Ist der Arztberuf – die Berufung Aadam Aziz’ – so tief gesunken? Bis zu

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