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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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hatte, wurde in Japan auf gelbe Menschen abgeworfen. In Agra aber setzte Emerald ihre eigene Geheimwaffe ein. Sie war krummbeinig, kurz, flachköpfig, ihre Nase berührte beinah ihr Kinn< sie träumte von einem großen modernen Haus mit einer an die Wasserleitung angeschlossenen Badewanne direkt neben dem Bett.
    Major Zulfikar war sich nie ganz schlüssig gewesen, ob er glauben sollte, dass Nadir Khan hinter der Ermordung des Kolibri stand oder nicht, aber es dürstete ihn nach einer Gelegenheit, das herauszufinden. Als Emerald ihm von Agras unterirdischem Tadsch erzählte, wurde er so erregt, dass er vergaß, wütend zu sein, und mit einer Truppe von fünfzehn Männern in die Cornwallis Road eilte. Mit Emerald an der Spitze trafen sie im Wohnzimmer ein. Meine Tante: Verrat mit schönem Gesicht, ohne Dupatta und mit rosafarbenen weiten Pajamas. Aziz sah sprachlos zu, wie die Soldaten den Wohnzimmerteppich zurückrollten, während meine Großmutter versuchte, Mumtaz zu trösten. «Frauen müssen Männer heiraten», sagte sie, «keine Mäuse, wieheißtesnoch! Es ist keine Schande, diesen, wieheißtesnoch, Wurm zu verlassen.» Aber ihre Tochter fuhr fort zu weinen.
    Nadir war nicht mehr in seiner Unterwelt! Durch Aziz’ ersten Aufschrei gewarnt, von der Verlegenheit überwältigt, die ihn leichter überflutete als der Monsunregen, verschwand er. In einer der
Toiletten – ja, genau der, warum nicht, in der er aus der Geborgenheit einer Wäschetruhe Doktor Aziz angesprochen hatte – flog eine Falltür auf. Ein hölzerner «Donnerbalken» – ein «Thron» – lag auf der Seite, sein leerer Emailletopf rollte auf die Kokosmatte. Die Toilette hatte eine Tür nach draußen, die auf die Gasse neben dem Kornfeld führte; die Tür stand offen. Sie war von der Außenseite verschlossen gewesen, aber nur mit einem Schloss made in India, und es war somit einfach gewesen, sie aufzubrechen ... und in der von Lampen gedämpft beleuchteten Abgeschiedenheit des Tadsch Mahal ein glänzender Spucknapf und eine Nachricht, adressiert an Mumtaz, unterschrieben von ihrem Ehemann, drei Wörter, sechs Silben, drei Ausrufezeichen: Talaag! Talaaq! Talaaq!
    Dem Englischen fehlt der donnernde Klang des Urdu, und Sie wissen sowieso, was es bedeutet. Du bist eine Geschiedene! Du bist eine Geschiedene! Du bist eine Geschiedene!
    Nadir Khan hatte getan, was sich gehörte.
    O furchteinflößender Zorn Major Zulfis, als er den Vogel ausgeflogen fand! Er sah nur noch eine Farbe: Rot. O so vollkommen mit der Wut meines Großvaters vergleichbarer Zorn, wenn auch in lächerlichen Gesten ausgedrückt! Zuerst hüpfte Major Zulfi in hilflosen Wutanfällen auf und ab, beherrschte sich schließlich und stürzte durchs Badezimmer hinaus, an dem Thron vorbei, am Kornfeld vorbei, durch das Tor in der Umgrenzungsmauer hinaus. Keine Spur von einem rennenden dicklichen reimlosen Dichter mit langem Haar. Nach links geschaut: nichts. Und rechts: null. Wutentbrannt traf Zulfi seine Wahl und stürmte an dem Fahrradrikschastand vorbei. Alte Männer spielten Triff-den-Spucknapf, und der Spucknapf stand auf der Straße. Straßenjungen hüpften zwischen Strömen von Betelsaft hin und her. Major Zulfi lief, weiterweiterweiter. Zwischen den alten Männern und ihrem Ziel durch, aber er ermangelte der Geschicklichkeit der Straßenjungen. Was für ein unglückseliger Augenblick: Ein niedriger, harter Strahl roter Flüssigkeit erwischte ihn genau im Schritt. Ein Fleck wie eine
Hand griff krampfhaft nach der Leistengegend seines Kampfanzugs, drückte zu, stoppte seinen Vormarsch. In allmächtigem Zorn blieb Major Zulfikar stehen. Ach, das war noch unglückseliger, denn ein zweiter Spieler, der annahm, dass der verrückte Soldat weiterlaufen würde, hatte einen zweiten Strahl losgelassen. Eine zweite rote Hand umfing die erste und gab Major Zulfis Tag den Rest ... langsam, mit Bedacht ging er zu dem Spucknapf und stieß ihn in den Staub. Er sprang darauf – einmal! zweimal! noch einmal! – und walzte ihn platt. Sich anmerken zu lassen, dass er sich dabei den Fuß verletzt hatte, weigerte er sich. Einigermaßen würdevoll humpelte er davon, zurück zum Wagen, der vor dem Haus meines Großvaters geparkt war. Die Alten holten sich ihr brutal behandeltes Gefäß wieder und begannen, es wieder in Form zu klopfen.
     
    «Jetzt, wo ich heirate», sagte Emerald zu Mumtaz, «ist es sehr unhöflich von dir, wenn du noch nicht einmal versuchst, dich zu amüsieren. Und du solltest mir

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