Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
menschliches Wesen durch und durch?», und fuhr fort, seinen Appetit auf Gebratenes, seine Fähigkeit, persische Lyrik zu zitieren, die Zornesfalte zwischen seinen Augenbrauen lieben und bewundern zu lernen ... «Wenn das so weitergeht», dachte sie, «gibt es immer etwas Neues an ihm zu lieben, und so kann unsere Ehe sich einfach nicht abnutzen.» So richtete meine Mutter sich beharrlich in ihrem Leben in der alten Stadt ein. Der Blechkoffer thronte ungeöffnet auf einem alten Schrank.
Und ohne dass er es wusste oder vermutete, wurden Ahmed und sein Leben von seiner Frau bearbeitet, bis er nach und nach einem Mann ähnelte, den er nie gekannt hatte, und in einem Haus lebte, das einer unterirdischen Kammer ähnelte, die er nie gesehen hatte. Unter dem Einfluss eines rührigen Zaubers, der so unauffällig war, dass Amina sich wahrscheinlich nicht bewusst war, ihn zu bewerkstelligen, wurde Ahmed Sinais Haar dünner und der Rest glatt und fettig, und er entdeckte, dass er bereit war, es wachsen zu lassen, bis es sich über seine Ohren zu ringeln begann. Auch
dehnte sein Magen sich aus, bis er zu dem nachgiebigen weichen Bauch wurde, gegen den ich so oft gedrückt werden sollte und den keiner von uns, bewusst zumindest, mit der Schwammigkeit Nadir Khans verglich. Seine entfernte Cousine Zohra sagte kokett zu ihm: «Du musst abnehmen, Vetterchen, sonst kommen wir zum Küssen nicht mehr an dich heran!» Aber es nützte nichts ... und nach und nach errichtete Amina in Alt-Delhi eine Welt weicher Kissen und Dekorationen über den Fenstern, die so wenig Licht wie möglich hereinließen ... sie fütterte die Bambusjalousien mit schwarzem Tuch, und all diese winzigen Umwandlungen halfen ihr bei ihrer Herkulesarbeit, der Arbeit, Stück für Stück zu akzeptieren, dass sie einen neuen Mann lieben musste. (Aber sie blieb anfällig für die verbotenen Traumbilder von ... und fühlte sich immer zu Männern mit weichen Bäuchen und ziemlich langem glatten Haar hingezogen.)
Man konnte die neue Stadt nicht von der alten aus sehen. In der Neustadt hatte eine Rasse rosafarbener Eroberer Paläste in rosafarbenem Stein errichtet, doch die Häuser in den engen Gassen der Altstadt lehnten sich vornüber, stießen aneinander, drängelten sich, versperrten sich gegenseitig die Sicht auf die rosafarbenen Gebäude der Macht. Nicht, dass jemals jemand in diese Richtung gesehen hätte. In den moslemischen Muhallas oder Vierteln, die sich um Chandni Chowk ballten, waren die Leute es zufrieden, nach innen in die abgeschirmten Höfe ihres eigenen Lebens zu sehen, die Bambusjalousien über ihre Fenster und Veranden herabzurollen. In den engen Gassen hielten junge Faulenzer Händchen und hakten sich unter und küssten sich, wenn sie sich trafen, und standen, das Gesicht nach innen gewandt, Hüfte an Hüfte, im Kreis. Es gab nichts Grünes, und die Kühe hielten sich fern, weil sie wussten, dass sie hier nicht heilig waren. Ständig läuteten Fahrradklingeln. Und ihren Missklang übertönten die Rufe umherziehender Obstverkäufer: Kommt all ihr Herrschaften – oh! Esst ein paar Datteln – oh!
Zu alldem kamen an dem Januarmorgen, an dem meine Mutter
und mein Vater jeweils Geheimnisse voreinander verbargen, das nervöse Getrappel der Schritte von Herrn Mustapha Kemal und Herrn S. P. Butt und auch das nachdrückliche Gepauke von Lifafa Das’ Dugdugeetrommel.
Als die trappelnden Schritte in den Gassen des Muhallas gehört wurden, waren Lifafa Das und sein Guckkasten und seine Trommel noch ein Stück entfernt. Die Trappelfüße entstiegen einem Taxi und hasteten in die engen Gassen; währenddessen stand meine Mutter in ihrem Eckhaus in der Küche, rührte Khichri zum Frühstück und hörte zufällig mit an, wie mein Vater sich mit seiner entfernten Cousine Zohra unterhielt. Während die Füße an den Obstverkäufern und handhaltenden Faulenzern vorbeiklapperten, hörte meine Mutter: «... Ihr Jungvermählten, ich kann es nicht lassen, euch zu besuchen, soo süüß, ich kann’s gar nicht sagen!» Während die Füße näher kamen, errötete mein Vater tatsächlich. In jenen Tagen befand er sich in der Blüte seines Charmes, seine Unterlippe ragte eigentlich gar nicht so sehr hervor, die Falte zwischen seinen Brauen war noch nicht so ausgeprägt ... und Amina, die immer noch Khichri rührte, hörte Zohra flöten: «O sieh nur, rosa! Aber du bist ja auch so hell, Vetterchen ...!» Und er ließ sie bei Tisch All-India Radio hören, was Amina nicht
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