Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Ratschläge geben und alles.» Damals hielt Mumtaz, obwohl sie ihre jüngere Schwester anlächelte, es für eine große Frechheit von Emerald, so etwas zu sagen, und verstärkte, unabsichtlich vielleicht, den Druck des Stiftes, mit dem sie ein Hennamuster auf die Fußsohlen ihrer Schwester auftrug. «He!», zeterte Emerald. «Du brauchst doch nicht gleich böse zu werden. Ich habe doch nur gemeint, wir sollten versuchen, Freunde zu sein.»
Die Beziehungen zwischen den Schwestern waren seit Nadir Khans Verschwinden etwas gespannt, und Mumtaz hatte es nicht gefallen, als Major Zulfikar (der es vorgezogen harte, meinen Großvater nicht vor Gericht zu bringen, weil er einem Mann, nach dem gefahndet worden war, Obdach gewährt hatte, und die Sache mit Brigadegeneral Dodson ins Reine gebracht hatte) um die Erlaubnis gebeten und sie auch bekommen hatte, Emerald zu heiraten. «Es sieht nach Erpressung aus», dachte sie. «Und außerdem, was ist mit Alia? Die Älteste sollte nicht zuletzt heiraten, und sieh nur, wie viel Geduld sie mit ihrem Händler hat.» Aber sie sagte nichts
und lächelte ihr nachsichtiges Lächeln und stellte ihre Gabe der Hilfsbereitschaft in den Dienst der Hochzeitsvorbereitungen und versprach, sie wolle versuchen, sich zu amüsieren, während Alia weiterhin auf Ahmed Sinai wartete. («Sie wird ewig warten», rät Padma. Richtig.)
Januar 1946. Zelte, Süßigkeiten, Gäste, Lieder, eine in Ohnmacht fallende Braut, ein strammstehender Bräutigam: ... eine wunderbare Hochzeit ... bei der der Kunstlederhändler Ahmed Sinai plötzlich in eine Unterhaltung mit der frisch geschiedenen Mumtaz vertieft war. «Sie mögen Kinder?» «Was für ein Zufall, ich auch ...» «Und Sie haben keine bekommen, armes Mädchen? Nun, um die Wahrheit zu sagen, meine Frau konnte keine ....» «O nein, wie traurig für Sie! Und sie muss schlecht gelaunt wie nur was gewesen sein!» «... Oh, höllisch ... entschuldigen Sie. Die Gefühle sind mit mir durchgegangen.» «Schon gut, denken Sie nicht darüber nach. Hat sie mit Geschirr geworfen und all das?» «Ob sie mit Geschirr geworfen hat? Innerhalb eines Monats mussten wir von Zeitungspapier essen!» «Ach du meine Güte, was Sie für Lügengeschichten auftischen! »«Oh, es hat keinen Zweck. Sie sind zu schlau für mich. Aber Geschirr geworfen hat sie trotzdem.» «Sie armer, armer Mensch.» «Nein Sie, Sie sind zu bedauern.» Und sie dachte: «So ein netter Kerl, wenn er zusammen mit Alia war, hat er immer so gelangweilt ausgesehen ....» Und: «... Ich habe dieses Mädchen nie angesehen, aber meine Güte ...» Und: «... Man sieht, dass er Kinder liebt; und dafür könnte ich ...» Und: «... Nun ja, die Hautfarbe ist ja nicht so schlimm ...» Es war auffällig, dass Mumtaz, als es Zeit zum Singen war, die Kraft fand, in alle Lieder mit einzustimmen; doch Alia schwieg still. Sie war noch schlimmer verletzt worden als ihr Vater im Jallianwala Bagh, und an ihr konnte man keine Spuren sehen.
«So, trübsinniges Schwesterherz, du hast es also doch geschafft, dich zu amüsieren.»
Im Juni dieses Jahres heiratete Mumtaz wieder. Ihre Schwester – die damit dem Beispiel ihrer Mutter folgte – sprach nicht mehr
mit ihr, bis sie kurz vor ihrer beider Tod die Gelegenheit sah, sich zu rächen. Aadam Aziz und Ehrwürdige Mutter versuchten ohne Erfolg, Alia zu überzeugen, dass solche Dinge vorkommen, dass man es besser sofort als später herausfand und dass Mumtaz schwer gekränkt worden sei und einen Mann brauche, der ihr half, sich zu erholen ... außerdem habe Alia Verstand, sie würde sich wieder fangen.
«Aber, aber», sagte Alia, «es hat noch keiner ein Buch geheiratet.» «Ändere deinen Namen», sagte Ahmed Sinai. «Es ist Zeit für einen Neuanfang. Wirf Mumtaz und ihren Nadir Khan aus dem Fenster. Ich suche dir einen neuen Namen aus. Amina. Amina Sinai: Wie gefällt dir das?»
«Was immer du sagst, Mann», sagte meine Mutter.
«Überhaupt», schrieb Alia, das kluge Kind, in ihr Tagebuch, «wer will sich schon diese Heiraterei aufhalsen? Ich nicht, nie, nein.»
Mian Abdullah war für eine Menge optimistischer Menschen ein Fehlstart; sein Gehilfe (dessen Name im Haus meines Vaters nicht ausgesprochen werden durfte) war für meine Mutter die falsche Abzweigung. Aber es waren die Jahre der Dürre; viel von der damals ausgepflanzten Saat endete im Nichts.
«Was passierte mit dem Dickerchen?», fragt Padma ärgerlich. «Du willst doch nicht sagen, dass du es
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