Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Dschinn-Ärzte. Mit einem von ihnen, Dr. Sharabi, wurde mein Vater durch Homi Catrack von nebenan bekannt gemacht. Am Ersten jedes Monats stellten sich mein Vater und Herr Catrack und viele der ehrbarsten Männer der Stadt vor Dr. Sharabis Praxistür aus Ornamentglas auf, gingen hinein und kamen mit kleinen rosa Alkoholpässen wieder heraus. Aber für die Bedürfnisse meines Vaters war die erlaubte
Ration zu klein, und so begann er auch seine Diener hinzuschicken, Gärtner, Hausburschen und Fahrer (wir hatten nun ein Auto, einen Rover Baujahr 46 mit Trittbrett, genauso einen, wie ihn William Methwold gehabt hatte), sogar der alte Musa und Mary Pereira brachten meinem Vater immer mehr rosa Pässe, die er zum Vijay-Warenhaus brachte, gegenüber von dem Frisörgeschäft in der Gowalia Tank Road, das auch Beschneidungen durchführte, und gegen die braunen Papiertüten des Alkoholismus eintauschte, in denen die klingenden grünen Dschinn-Flaschen steckten. Und Whiskyflaschen auch: Ahmed Sinai verlor seine Konturen, indem er die grünen Flaschen und roten Etiketten seiner Diener vertrank. Die Armen, die sonst wenig zum Verhökern hatten, verkauften ihre Identität auf kleinen rosa Zettelchen, und mein Vater machte sie flüssig und versoff sie.
Um sechs Uhr jeden Abend betrat Ahmed Sinai die Welt der Dschinns, und jeden Morgen setzte er sich unrasiert, mit roten Augen und dröhnendem Schädel, an den Frühstückstisch, weil seine die ganze Nacht währende Schlacht ihn erschöpft hatte; und mit den Jahren verging die gute Laune, die er immer vor dem Rasieren an den Tag gelegt hatte, und als Resultat seines Krieges mit den Flaschengeistern blieben nur noch Gereiztheit und Erschöpfung zurück.
Nach dem Frühstück ging er nach unten. Im Erdgeschoss hatte er zwei Zimmer für sein Büro reserviert, denn sein Orientierungssinn war so schlecht wie eh und je, und die Vorstellung, sich in Bombay auf dem Weg zur Arbeit zu verlaufen, behagte ihm gar nicht; doch den Weg nur eine Treppe hinab konnte selbst er finden. Obwohl ihm die Konturen verschwammen, erledigte mein Vater seine Immobiliengeschäfte, und sein wachsender Zorn darüber, dass meine Mutter sich hauptsächlich mit ihrem Kind beschäftigte, fand hinter seiner Bürotür ein neues Ventil – Ahmed Sinai begann mit seinen Sekretärinnen zu flirten. Nach Nächten, in denen sein Streit mit Flaschen sich hin und wieder in harten Worten
entlud –«Was für eine Frau ich mir ausgesucht habe! Ich hätte mir einen Sohn kaufen und eine Kinderschwester anstellen sollen – was ist der Unterschied!» Und dann Tränen und Amina: «Ach Janum, quäl mich nicht!» Das provozierte wiederum: «Quälen, du spinnst wohl? Du hältst es für eine Qual, wenn ein Mann seine Frau um Zuwendung bittet? Gott schütze mich vor dummen Frauen!» –, humpelte mein Vater hinunter und machte den Colaba-Mädchen schöne Augen. Und nach einer Weile begann es Amina aufzufallen, dass es seine Sekretärinnen nie lange hielt, dass sie von heute auf morgen den Dienst quittierten, ohne Kündigung plötzlich die Auffahrt entlangstürmten; und Sie müssen selber urteilen, ob sie es vorzog, blind zu sein, oder ob sie es als Strafe hinnahm. Jedenfalls tat sie nichts dagegen und fuhr fort, ihre Zeit mir zu widmen; ihr einziger Akt des Anerkennens bestand darin, den Mädchen einen Kollektivnamen zu geben. «Diese Anglos», sagte sie zu Mary und offenbarte einen Hauch von Snobismus, «mit ihren komischen Namen, Fernanda und Alonso und alles, und erst ihre Nachnamen, mein Gott! Sulaca und Colaco und ich weiß nicht was noch alles. Was sollte ich mir über die da den Kopf zerbrechen? Billige Weiber: Ich nenne sie sämtlich seine Coca-Cola-Mädchen – so klingen sie nämlich alle.»
Während Ahmed in Hintern kniff, begann Aminas lange Leidenszeit, aber vielleicht wäre er froh gewesen, wenn sie den Anschein erweckt hätte, sich über die da den Kopf zu zerbrechen.
Mary Pereira sagte: «Die Namen sind gar nicht so komisch, Madam, entschuldigen Sie, es sind gute christliche Wörter.» Und Amina erinnerte sich an Ahmeds Cousine Zohra, die sich über schwarze Haut lustig gemacht hatte – überschlug sich fast, um sich zu entschuldigen, und verfiel dabei in Zohras Fehler: «Oh, doch nicht du, Mary, wie konntest du annehmen, dass ich mich über dich lustig machte?» Mit Schläfen wie Hörner und einer Nase wie eine Gurke lag ich in meinem Bettchen und hörte zu; und alles, was geschah, geschah meinetwegen ... Eines
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