Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Tür geschlossen; Pantoffeln sind abgestreift worden, Arme strecken sich ihm entgegen, und einige Augenblicke später langen ihre Hände hinunter hinunter hinunter; und dann: «O mein Gott, Janum, ich habe gedacht, du redest nur so unflätig daher, aber es ist wahr! So kalt, Allah, so kaaaalt, wie kleine runde Eisbällchen!»
     
    So etwas kommt vor: Nachdem der Staat die Aktiva meines Vaters eingefroren hatte, spürte meine Mutter, wie sie immer kälter wurden. Am ersten Tag wurde das Messingäffchen gezeugt – gerade noch rechtzeitig, denn obwohl Amina ihrem Ehemann jede Nacht beilag, um ihn zu wärmen, obwohl sie sich eng an ihn kuschelte, wenn sie spürte, wie er zitterte, während die eisigen Finger der Wut und Machtlosigkeit von seinen Lenden aus nach oben krochen, konnte sie es danach nicht mehr über sich bringen, ihre Hand auszustrecken und ihn zu berühren, denn seine kleinen Eisbällchen waren zu kalt zum Anfassen geworden.
    Sie – wir – hätte wissen sollen, dass etwas Schlimmes geschehen würde. In jenem Januar waren der Strand von Chowpatty und auch Juju und Trombay mit den Unheil verkündenden Kadavern von
Pomfrets übersät, die, ohne dass es irgendeine Erklärung dafür gegeben hätte, mit dem Bauch nach oben wie schuppige Finger an die Küste trieben.

Schlangen und Leitern
    Und weitere schlechte Vorzeichen: Man sah Kometen über der Back Bay explodieren; man berichtete, dass man Blumen richtig bluten habe sehen; und im Februar entkamen die Schlangen aus dem Schaapsteker-Institut. Es ging das Gerücht, dass ein verrückter bengalischer Schlangenbeschwörer, ein Tubrispieler, durch das Land reise und Schlangen aus der Gefangenschaft wegzaubere, sie zur Strafe für die Teilung seines geliebten Goldenen Bengalen mit Hilfe der rattenfängerischen Faszination seiner Flöte aus Schlangenfarmen entführe (solchen wie der von Schaapsteker, in der die toxischen Wirkungen von Schlangengift erforscht und Gegengifte entwickelt wurden). Nach einer Weile kamen neue Gerüchte hinzu: Der Tubrispieler sei über zwei Meter groß und habe eine hellblaue Haut. Er war Krischna, der gekommen war, sein Volk zu züchtigen; er war der himmelfarbene Jesus der Missionare.
    Es scheint, dass in den Nachwehen meiner Wechselbalggeburt, während ich mich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit vergrößerte, alles schief ging, was irgendwie schief gehen konnte. Im Schlangenwinter Anfang 1948 und in den nachfolgenden heißen und regnerischen Jahreszeiten überstürzten sich die Ereignisse, sodass wir alle, als im September das Messingäffchen geboren wurde, erschöpft und für ein paar Jahre der Ruhe bedürftig waren.
    Entwichene Kobras verschwanden in den Abwasserkanälen der Stadt; gebänderte Kraits wurden in Bussen gesichtet. Religiöse Führer bezeichneten das Entweichen der Schlangen als Warnung – der Gott Naga sei losgelassen worden, stimmten sie an, um die Nation dafür zu bestrafen, dass sie offiziell ihren Göttern abgeschworen habe. («Wir sind ein säkularer Staat», verkündete Nehru, und
Morarji und Patel und Menon stimmten alle zu; aber trotzdem fröstelte Ahmed Sinai unter dem Einfluss der Einfrierung.) Und eines Tages, als Mary bereits gefragt hatte: «Wovon werden wir jetzt leben, Madam?», machte uns Homi Catrack mit Dr. Schaapsteker persönlich bekannt. Er war einundachtzig Jahre alt, seine Zunge schnellte dauernd zwischen seinen papierenen Lippen vor und zurück, und er war bereit, die Miete für eine Wohnung im obersten Stock mit Blick auf das Arabische Meer in bar zu bezahlen. Ahmed Sinai war in jenen Tagen bettlägerig; die Eiseskälte der Einfrierung drang durch die Laken; aus medizinischen Gründen kippte er ungeheure Mengen Whisky in sich hinein, dem es aber nicht gelang, ihn aufzuwärmen ... so war es Amina, die einwilligte, das obere Stockwerk von Buckingham Villa an den alten Schlangendoktor zu vermieten. Und Ende Februar trat Schlangengift in unser Leben.
    Dr. Schaapsteker war ein Mann, der zu wilden Geschichten anregte. Die abergläubischeren Wärter in seinem Institut schworen, er habe die Fähigkeit, jede Nacht zu träumen, dass er von Schlangen gebissen werde, und sei daher gegen ihre Bisse immun. Andere raunten, er sei halb Mensch, halb Schlange, das Kind einer unnatürlichen Vereinigung zwischen einer Frau und einer Kobra. Er war besessen vom Gedanken an das Gift des Gebänderten Kraits – Bungarus fasciatus; und diese Besessenheit wurde legendär. Gegen den Biss des Bungarus ist kein