Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
ich besorge den Vertrag. Fifty-fifty, fair ist fair!» Meiner Ansicht nach gibt es jedoch eine simplere Erklärung. Mein Vater, ehefraulicher Zuwendung beraubt, von seinem Sohn verdrängt, durch Whisky und Dschinn verwirrt, versuchte, seine Position in der Welt wiederherzustellen, und der Traum von den Tetrapoden bot ihm die Gelegenheit. Mit ganzem Herzen stürzte er sich in die große Narretei; Briefe wurden geschrieben, an Türen wurde geklopft, Schwarzgeld ging von Hand zu Hand; all das trug dazu bei, den Namen Ahmed Sinai in den Korridoren des Sachivalaya bekannt zu machen – in den Gängen des Staatssekretariats bekamen sie Wind von einem Moslem, der mit seinen Rupien herumwarf wie mit Heu. Und Ahmed Sinai trank sich in Schlaf und war sich der Gefahr, in der er schwebte, nicht bewusst.
Unser Leben zu jener Zeit wurde von Schriftverkehr bestimmt. Der Ministerpräsident schrieb mir, als ich gerade sieben Tage alt war – als ich mir noch nicht einmal selbst die Nase putzen konnte, bekam ich schon Fanpost von Lesern der Times of India, und eines Morgens im Januar erhielt auch Ahmed Sinai einen Brief, den er nie vergessen sollte.
Den roten Augen beim Frühstück folgte das rasierte Kinn des Arbeitstages; Schritte die Treppe hinunter; alarmiertes Kichern des Coca-Cola-Mädchens. Das Quietschen eines Stuhls, der an einen mit grünem Kunstleder bezogenen Schreibtisch gerückt wurde. Metallisches Geräusch eines metallenen Brieföffners, der beim Aufheben kurz ans Telefon schlug. Das kurze Ratschen von Metall, das einen Briefumschlag aufschlitzte, und eine Minute später lief Ahmed wieder die Treppe hoch, schrie nach meiner Mutter und brüllte:
«Amina! Komm her, Frau! Die Hundesöhne haben meine Eier in den Eiskübel geworfen!»
In den Tagen, nachdem Ahmed den amtlichen Brief erhalten hatte, der ihn informierte, dass alle seine Aktiva eingefroren worden waren, redete die ganze Welt gleichzeitig ... «Um Himmels willen, Janum, mäßige deine Worte!», sagt Amina – und bilde ich es mir ein, oder errötet ein Baby in einem himmelblauen Bettchen?
Und Narlikar, der schweißschäumend eintrifft: «Ich gebe mir die ganze Schuld, wir haben dafür gesorgt, dass wir zu bekannt wurden. Es sind schlechte Zeiten, Sinai Bhai – friere die Guthaben eines Moslems ein, sagen sich die, und du bringst ihn dazu, nach Pakistan abzuhauen und sein ganzes Vermögen zurückzulassen. Pack die Eidechse am Schwanz, und sie bricht ihn ab! Dieser so genannte säkulare Staat hat ein paar verdammt clevere Einfälle.»
«Alles», sagt Ahmed Sinai, «Bankkonto, Sparbriefe, die Mieteinnahmen aus dem Besitz in Kurla – alles gesperrt, eingefroren. Laut Gesetz, steht in dem Brief. Laut Gesetz lassen sie mir keine vier Annas, Frau – nicht einmal einen Chavanni für den Guckkasten!»
«Es sind diese Fotos in der Zeitung», beschließt Amina. «Wie könnten diese Emporkömmlinge, diese gerissenen Schnüffler sonst wissen, wer zu belangen ist? Mein Gott, Janum, es ist meine Schuld ...»
«Keine zehn Pice für einen Klacks Channa», fügt Ahmed Sinai hinzu, «keinen Anna, den ich einem Bettler als Almosen geben könnte. Eingefroren – wie im Kühlschrank!»
«Es ist meine Schuld», sagt Ismail Ibrahim. «Ich hätte Sie warnen sollen, Sinai Bhai. Ich habe von diesen Einfrierungen gehört – man wählt natürlich nur wohlhabende Moslems aus. Sie müssen kämpfen ...»
«... Auf Biegen und Brechen!», beharrt Homi Catrack. «Wie ein Löwe! Wie Aurangseb – dein Urahn, nicht wahr? –, wie die Rani von Jhansi! Dann wollen wir doch mal sehen, in was für einem Land wir gelandet sind!»
«Es gibt Gerichtshöfe in diesem Staat», fügt Ismail Ibrahim hinzu; Nussie-die-Ente lächelt wie eine Kuh, während sie Sonny säugt, ihre Finger bewegen sich, abwesend seine Dellen streichelnd, auf und ab und rund herum in einem gleichmäßigen, unveränderlichen Rhythmus ... «Sie müssen meinen Rechtsbeistand annehmen», sagt Ismail zu Ahmed. «Ganz umsonst, mein guter Freund. Nein, nein, davon will ich nichts hören. Wieso denn nicht? Wir sind schließlich Nachbarn.»
«Pleite», sagt Ahmed. «Eingefroren, wie Wasser.»
«Nun komm schon», unterbricht Amina ihn; ihre Hingabe erklimmt neue Höhen, denn sie führt ihn in ihr Schlafzimmer ... «Janum, du musst dich ’ne Weile hinlegen.» Und Ahmed: «Was soll das, Frau? In so einem Augenblick – ausgenommen, erledigt, zerstoßen wie Eis –, und du denkst an ...» Aber sie hat die
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