Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
blieb und von Zeit zu Zeit stöhnte: «Vernichtet, Frau! Zerbrochen – wie ein Eiszapfen!»), während Mary Pereira sich in der Küche Zeit nahm, zum Wohle ihrer Besucher einige der besten und feinsten Mangopickles, Limonenchutneys und Gurkenkasaundis der Welt zuzubereiten. Und im eigenen Heim nun wieder in den Stand der Tochter zurückversetzt, begann Amina zu spüren, wie die Gefühlsregungen des Essens anderer Leute in sie hineinträufelten – denn Ehrwürdige Mutter teilte die Currygerichte und Fleischbällchen der Unnachgiebigkeit aus, Gerichte, durchtränkt von der Persönlichkeit ihrer Schöpferin. Amina aß die Fischsalans des Eigensinns und die Birianis der Entschlossenheit. Und obwohl Marys Pickles teilweise als Gegenmittel wirkten – da sie die Schuld ihres Herzens und die Furcht vor Entdeckung hineingerührt hatte, lag es, so gut sie auch schmeckten, in ihrer Macht, demjenigen, der sie aß, namenlose Ungewissheit und Träume von anklagenden Fingern aufzuzeigen –, erfüllte die Kost, die Ehrwürdige Mutter bereithielt, Amina mit einer Art Wut und bewirkte sogar bei ihrem geschlagenen Ehemann leichte Anzeichen der Besserung. So kam schließlich der Tag, an dem Amina, die mir zusah, wie ich in der Badewanne dilettantisch mit Spielzeugpferdchen aus Sandelholz spielte und dabei die süßen Düfte des Holzes einatmete, die das Badewasser ausströmte, den abenteuerlustigen Zug in sich wiederentdeckte, den sie von ihrem immer schmächtiger werdenden Vater geerbt hatte, den Zug, der Aadam Aziz einst aus seinen Bergen in die Ebene gebracht hatte. Amina drehte sich zu Mary Pereira um und sagte: «Ich habe es satt. Wenn niemand in diesem Haus das alles wieder in Ordnung bringt, dann muss ich mich eben darum kümmern.»
Spielzeugpferdchen galoppierten vor Aminas innerem Auge, während sie es Mary überließ, mich abzutrocknen, und in ihr Schlafzimmer marschierte. Erinnerungsbilder an die Mahalaxmi-Rennbahn
kanterten durch ihren Kopf, als sie Saris und Petticoats beiseite schob. Das Fieber eines verwegenen Plans rötete ihre Wangen, als sie den Deckel eines alten Blechkoffers aufmachte ... nachdem sie ihre Börse mit den Münzen und Rupienscheinen von dankbaren Patienten und Hochzeitsgästen gefüllt hatte, ging meine Mutter zur Rennbahn.
Während das Messingäffchen in ihr wuchs, stolzierte meine Mutter über die Sattelplätze der nach der Göttin des Reichtums benannten Rennbahn; frühmorgendlicher Übelkeit und Krampfadern trotzend, stellte sie sich am Totalisator an, setzte Geld auf Dreierwetten und auf absolute Außenseiter. Ohne die geringste Ahnung von Pferden zu haben, setzte sie auf Stuten, von denen man wusste, dass sie nicht ausdauernd genug waren, um lange Rennen zu gewinnen; sie setzte ihr Geld auf bestimmte Jockeys, weil ihr deren Lächeln gefiel. Eine Börse mit der Mitgift umklammernd, die unangetastet in ihrem Blechkoffer gelegen hatte, seit ihre eigene Mutter sie weggepackt hatte, ließ sie sich ein auf wilde Spekulationen mit Hengsten, die aussahen, als gehörten sie ins Schaapsteker-Institut ... und gewann und gewann und gewann.
«Gute Neuigkeiten», sagt Ismail Ibrahim, «ich habe immer gemeint, ihr solltet den Kampf mit den Hundesöhnen aufnehmen. Ich beginne sofort mit dem Verfahren ... aber dazu braucht man Bargeld, Amina. Habt ihr Bargeld?»
«Das Geld wird da sein.»
«Nicht für mich», erklärt Ismail. «Meine Dienste sind, wie schon gesagt, umsonst, absolut gratis. Aber verzeihen Sie, Sie müssen wissen, wie die Dinge liegen; man muss den Leuten kleine Geschenke machen, um sich den Weg zu ebnen ...»
«Hier», Amina überreicht ihm einen Umschlag, «reicht das fürs Erste?»
«Mein Gott!» Ismail lässt das Päckchen überrascht fallen, und Rupiennoten mit großen Nennwerten verteilen sich über den Wohnzimmerboden. «Was für eine Quelle haben Sie denn da angezapft ...?»
Und Amina: «Fragen Sie lieber nicht – dann frage ich auch nicht, wie Sie es ausgeben.»
Schaapstekers Geld bezahlte unsere Lebensmittelrechnungen, aber Pferde fochten unseren Krieg aus. Die Glückssträhne meiner Mutter auf der Rennbahn war so lang, die Fundgrube so reichhaltig, dass man es nicht geglaubt hätte, wenn es nicht wirklich geschehen wäre ... Monat um Monat setzte sie ihr Geld auf die hübsche ordentliche Frisur eines Jockeys oder die schönen Farben eines Schecken, und nie verließ sie die Rennbahn ohne einen großen, mit Geldscheinen voll gestopften Umschlag.
«Die Sache läuft
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