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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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mitzufeiern. Sie alle tanzten zu zweien und zu dreien, berührten einander am Haar und bewegten ihre Körper, als würden sie sich einen einzigen teilen. Alle waren sie schön, wenn sie tanzten.
    Ich hielt mich ein Dutzend Schritte zurück, so dass ich hüfttief im trockenen Wiesengras stand. Mit den Handflächen strich ich über die Ähren und seufzte. Ich war nicht gerade begeistert darüber, die anderen hier zu sehen. Ich hatte gehofft, die Thornking-Ash ganz für mich allein zu haben.
    Doch ihre Musik lockte mich, zupfte an meinem Körper, unwiderstehlich. Je länger ich dastand und ihrem pulsierenden Rhythmus lauschte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich sie selbst fühlen musste.
    Die Tänzer mit ihren unmöglich verrenkten Leibern und dem sinnlichen Bild von Haut an Haut interessierten mich nicht. Es waren die Musikanten, auf die ich zuhielt. Eine Fee, ein schlanker, hübscher Junge, hielt eine Trommel auf seinem Schoß umschlungen – er war es, der dem Tanz diesen hypnotischen, urtümlichen Herzschlag verlieh. Da war außerdem ein Geiger, der seiner Fiedel klagende, anrührende Töne entlockte. Eine Fee schlug ein Tamburin als perfekten Kontrapunkt zu der dröhnenden Trommel, und ein Flötist drängte uns hektisch, beinahe wahnhaft, zum Tanzen. Doch dieser Trommler – er konnte sein Instrument klingen lassen, als würde Wasser in einen Eimer tropfen, als würden die Schritte eines Riesen oder Regen auf dem Dach hallen –, den musste man im Auge behalten. Er war derjenige, der dafür sorgen konnte, dass man sich selbst vergaß.
    »Tanzen, meine Hübsche?«, fragte ein Orkney-Troll mit großen Füßen und einem Gesicht wie einer Schaufel und griff nach meiner Hand. Kaum hatte er meine Finger berührt, ließ er wieder los.
    Hämisch grinste ich ihn an. »Tja, dachte ich es mir doch, dass du das lieber nicht möchtest.«
    Der gedrungene Troll beugte sich zu einem seiner Freunde hinüber und sagte auf diese typisch langsame Art:
»Leanan Sidhe.«
    Und damit war meine Ankunft verkündet. So unterschwellig wie der schnelle, primitive Trommelschlag verbreiteten sich diese Worte und wanderten von einem Tänzer zum nächsten. Während ich mich durch die Menge bewegte, spürte ich die Blicke. Ich war nicht irgendeine Fee, nicht bloß irgendeine Einzelgängerin, ich war die
Leanan Sidhe
. Die niederste der Niederen. Schon beinahe menschlich.
    »Ich wusste gar nicht, dass Tanzen eines deiner vielen Talente ist«, rief mir eine Fee zu, als sie an mir vorüberwirbelte. Sie und ihre Freundinnen reichten mir gerade bis zur Hüfte, und ihr Lachen brannte wie Bienenstiche. Einen Moment lang beobachtete ich sie dabei, wie sie herumwirbelten und die Füße unfehlbar im peitschenden Takt des Trommelschlags aufsetzten – bis ich ihren Schwanz unter ihrem hauchzarten grünen Kleid hervorlugen sah.
    Mein Lächeln ging in ein Knurren über. »Und mir war nicht bekannt, dass das Reden eines deiner Talente ist. Ich hätte nicht gedacht, dass Affen sprechen können.«
    Sie warf einen finsteren Blick in meine Richtung, rückte ihr Kleid zurecht und zog die anderen von mir fort. Hinter ihren Rücken schnitt ich eine Grimasse und bewegte mich weiter durch die Menge. Ich wusste nicht genau, wonach ich suchte – vielleicht nach einer Stelle, an der die Musik mich endlich in ihren Bann ziehen und mich den ganzen Rest hier vergessen lassen würde.
    Jemand grapschte mir an den Hintern, aber als ich herumfuhr, war da nur eine Reihe grinsender männlicher Gesichter, die mich anglotzten. Es wäre nicht schwer gewesen, denjenigen darunter zu erkennen, der nicht unschuldig aussah – das Problem war eher, dass ich keinen finden konnte, der nicht schuldig schien.
    »Fickt euch doch«, sagte ich zu ihnen, und alle lachten.
    »Würden wir ja gern, du Schlampe«, erwiderte einer von ihnen und machte eine obszöne Geste. »Hilfst du uns dabei?«
    Es hätte keinen Zweck gehabt, sich heute Abend in einen handfesten Streit verwickeln zu lassen. Also spuckte ich ihnen ungefähr mittig vor die Füße, drehte mich um und brachte möglichst viel Abstand zwischen mich und die Grapscher.
    Die Trommel flehte meine Füße an, zu tanzen, doch das tat ich nicht. Die Musik war wunderschön, und an jedem anderen Abend hätte ich ihr nachgegeben. Aber heute Nacht konnte ich nur daran denken, was James und seine Sackpfeife aus dem Lied machen könnten, das die Musikanten jetzt spielten. Ich war nicht sicher, warum ich mir die Mühe gemacht hatte,

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