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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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herzukommen. Inmitten dieses schäumenden Meers von Tänzern war ich eine reglose Insel. Sie starrten mich ganz unverhohlen an, während sie im Sog der Musik und ihrer Mittänzer wogten, wirbelten, schwankten. Überall um mich herum wurde gelacht.
    »Hast du dich verlaufen,
cailín?
«
    Ich gebe zu, dass mich die gütige Stimme und die harmlose Anrede – schlicht »Mädchen« auf Gälisch – zu Tode erschreckten. Ich drehte mich um und sah einen Mann auf mich herablächeln. Er trug höfischen Staat, und sein prächtiger Rock war mit muschelförmigen Knöpfen bis zum Hals verschlossen.
    Ein Mensch. Ganz leicht schimmerte er golden – hell genug, um mich hungrig zu machen, aber nicht strahlend genug, um mich wirklich in Versuchung zu führen. Und er sah zwar recht gut aus, mit den Lachfältchen um die Augen und seiner schiefen Nase. Doch er war weder schön noch hellhäutig genug, um ein Wechselbalg zu sein, der als Kind von den Feen geraubt worden war. Bei seinem Aussehen und der edlen Kleidung hätte ich meine Locken darauf verwettet, dass er der neue menschliche Gefährte der Königin war. Selbst ich, die am äußersten Rand der Feenwelt lebte, hatte das Getuschel über ihn gehört.
    Argwöhnisch musterte ich ihn und entgegnete hochmütig: »Sehe ich denn so aus, Menschenmann?«
    Sein Blick glitt über meine Jeans mit dem Riss am Hintern, die tiefausgeschnittene Folklorebluse und meine unverschämt hohen Korkabsätze. Sein Mund verzog sich, als hätte er eine Zitrone probiert und fände sie recht appetitlich. »Man kann sich nur schwer vorstellen, dass du irgendwo hingeraten könntest, wo du nicht sein willst«, gestand er.
    Ich kräuselte die Lippen zu einem Lächeln.
    »Du hast ein ausgesprochen boshaftes Lächeln«, bemerkte er.
    »Das liegt daran, dass ich ausgesprochen boshaft
bin
. Hast du das noch nicht gehört?«
    Der Blick des königlichen Gemahls richtete sich wieder auf mein Gesicht, und er kniff seine ohnehin schon schmalen, lächelnden Augen noch ein bisschen mehr zusammen. Seine Stimme klang unbekümmert, verspielt. »Sollte ich das, Menschenfrau?«
    Ich lachte laut über seinen Fehler. Jetzt wusste ich zumindest, warum er mich angesprochen hatte – er hielt mich für seinesgleichen. Sah ich wirklich so schlimm aus? »Es liegt mir fern, dich deiner Illusionen zu berauben«, entgegnete ich. »Du wirst bald genug dahinterkommen. Fürs Erste genieße ich aber deine Unwissenheit, wenn ich ehrlich sein soll.«
    »Hier kann niemand etwas anderes sprechen als die Wahrheit«, erwiderte der Gefährte der Königin.
    Erneut verzog ich den Mund zu einem Lächeln.
    »Ich sehe schon, bei dieser Unterhaltung drehen wir uns doch nur im Kreis«, sagte er und streckte die Hand aus. »Würdest du stattdessen mit mir tanzen? Nur einen Tanz?«
    Ich tanzte nicht gern mit Feen, aber er gehörte ja nicht zu ihnen. Mit einem kleinen Lächeln antwortete ich: »So etwas wie einen einzigen Tanz gibt es nicht in diesem Kreis.«
    »In der Tat. Also tanzen wir, bis du halt sagst, und dann – halten wir an?«
    Ich zögerte. Mit Eleanors Gefährten zu tanzen, ohne sie zuerst um diese Ehre zu bitten, schien mir keine so gute Idee zu sein. Was das Ganze umso reizvoller machte. »Wo ist meine verehrte Königin?«
    »Sie kümmert sich um andere Angelegenheiten.« Einen Moment lang glaubte ich fast, einen Ausdruck der Erleichterung über sein Gesicht huschen zu sehen, der jedoch blitzschnell wieder verschwunden war. Er hielt mir immer noch die Hand hin, und ich legte meine hinein.
    Dann ergriff uns die Musik. Meine Füße verfielen dem Rhythmus, seine waren bereits davon erfasst, und wir wirbelten in die Menge hinein. Irgendwo da draußen war die Nacht, aber sie schien von diesem Hügel sehr weit entfernt zu sein. Hier war alles hell erleuchtet von den Sternen und dem Staub, der in der Luft hing.
    Bei unserem Tanz wurden wir ständig beobachtet. Er hielt meine Hände sehr fest, als müsse er mich aufrecht halten, und ich hörte Stimmen, Gesprächsfetzen, während wir zwischen anderen hindurchtanzten.
    »… die
Leanan Sidhe …
«
    »… wenn die Königin das wüsste …«
    »… warum tanzt
sie
mit …«
    »… zum König gekrönt werden, noch ehe …«
    Ich umklammerte die Finger des Gefährten fester. »Du wirst also der neue König: Deshalb bist du hier.«
    Seine Augen strahlten. Wie alle Menschen war er bereits halb trunken von der Musik, als er kaum zu tanzen begonnen hatte. »Das ist kein Geheimnis.«
    Ich wollte

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