Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
begann darüber nachzudenken, wie ich in James’ Arme passen würde, ob mein Kopf haargenau richtig unter seinem Kinn liegen würde, so wie Dees. Und dann dachte ich an sein Auto, das nach ihm gerochen hatte, und stellte mir vor, wie dieser Geruch an meiner Haut haftete.
    Mist.
    Ich stand auf und schob mich durch die Sitzreihe nach draußen. Ich blieb nicht stehen, um mit dem Kassenknaben zu reden, obwohl ich seinen Blick auf mir spürte. Wahrscheinlich glaubte er, dass mir der Film nicht gefallen hatte. Vielleicht stimmte das ja. Ich ging hinaus ins Zwielicht. Es regnete nicht mehr, und in der Ferne grollte leiser Donner. Schnell lief ich den regennassen Bürgersteig entlang, als könnte ich dadurch meinen Gedanken ein Stück davonlaufen.
    Es war nicht so, als hätte es noch nie erotische Anziehung zwischen mir und meinen Schülern gegeben. Meine Jungs, die armen Lämmchen, wollten mir fast immer an die Wäsche, aber dadurch arbeiteten sie umso härter und klangen umso schöner.
    Aber mir sollte es nicht passieren, dass ich mich zu einem von ihnen hingezogen fühlte. Ich war kein Mensch.
    Da ich so sehr mit mir selbst beschäftigt war, merkte ich erst, dass ich nicht allein war, als die Straßenlaternen um mich herum flackerten, kurz erloschen und erneut flackerten, ehe sie wieder hell leuchteten. Wer auch immer – was auch immer – das war, ich durfte nicht eingeschüchtert wirken, also ging ich weiter den Bürgersteig entlang, als hätte ich nichts bemerkt. Vielleicht war es nur eine einzelne Fee, die mich in Ruhe lassen würde.
    Meine Hoffnung erlosch, als ich leise Stimmen hörte und zwei Feen sah, die mir auf dem Bürgersteig entgegenkamen. Es drehte mir den Magen um, der sich scheußlich hohl anfühlte, eine ganz neue Empfindung. Nervosität.
    Das war die Königin.
    Bevor sie Königin geworden war – ehe die vorherige Königin in Stücke gerissen worden war –, hatte Eleanor stets Weiß getragen. Es hatte ihrem blassgoldenen Haar mehr Farbe verliehen. Nun da sie Königin war, kleidete Eleanor sich in Grün, wie es die älteste Tradition vorsah, und ihr langes Haar wirkte unter den Straßenlaternen beinahe weiß. Natürlich hatte sie auch heute Abend ein verdammt schönes Kleid an: Es war sattgrün-schwarz mit goldenen Kreisen und Punkten, die auf die Ärmel und den hohen Kragen gestickt waren, der ihren langen Hals bedeckte und ihr Kinn umrahmte. Irgendwelche Edelsteine glitzerten auch an ihrer Schleppe, die hinter ihr her über den Bürgersteig schleifte. Im Gegensatz zur vorherigen Königin trug Eleanor keine Krone – nur ein bescheidenes Diadem mit Perlen, die stumpf schimmerten wie kleine Zähne.
    Sie war so schön, dass es schmerzte. Empfand James dasselbe, wenn er mich ansah?
    Eleanor entdeckte mich und lachte, schrecklich und schön. Die Person neben ihr war keine Fee, wie ich zuerst gedacht hatte, sondern ihr Gefährte, der Mann vom Feentanz. Schief lächelte er mich an und schaute dann wieder zu Eleanor. Er war sehr menschlich – zerbrechlich, geraubt und verliebt.
    »Ah, kleine Hure«, sagte Eleanor freundlich. »Wie nennst du dich dieses Mal?«
    Ich hatte das Wort schon zu oft gehört, um noch mit der Wimper zu zucken. Trotzig reckte ich das Kinn. »Ich soll Euch meinen Namen sagen – hier, wo ihn jeder mitbekommen kann?« Sofort bereute ich die Worte. Ich wartete auf die offenkundige Erwiderung, die ich schon tausendmal gehört hatte.
Alles andere kann doch auch jeder von dir bekommen.
    Doch Eleanor lächelte mich nur wohlwollend an. Erstaunt überlegte ich, ob sie »Hure« vielleicht gar nicht als Beleidigung gemeint hatte, sondern nur als Titel. Dann sprach sie. »Nicht deinen wahren Namen, Fee. Wie nennt dich dein aktueller Junge?«
    James hatte nein zu mir gesagt, also wäre »Nuala« eine Lüge gewesen. Ich konnte ebenso wenig lügen wie Eleanor, und so war ich gezwungen, die Wahrheit zu sagen. »Ich habe im Augenblick niemanden.«
    Eleanors Mitleid brannte wie eine Ohrfeige. »Dann fühlst du dich wohl recht schwach, du armes Ding?«
    »Mir geht es gut. Er ist erst vor ein paar Monaten gestorben.«
    Ihr Gemahl runzelte die Stirn, und seine Gedanken, die in meine Richtung trieben, beschäftigten sich mit der Frage, ob er mir jetzt höflich sein Beileid aussprechen sollte. Eleanor neigte leicht den Kopf zur Seite und erklärte es ihm. »Sie braucht sie lebend, weißt du? Ihre Kreativität. Natürlich sterben die armen Geschöpfe irgendwann, aber ich bin sicher, der Sex war es

Weitere Kostenlose Bücher