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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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verschwunden.
    Neue Textnachricht
    An:
    James
     
    Wir reden über nichts, obwohl ich dir so viel sagen will. Fühle mich hier verloren. Wir sind alle musikstreber, aber niemand ist wie ich. Alle spielen barock o. rock o. jazz. Das sollte mir egal sein, ist es aber nicht.
     
    Absender:
    Dee
     
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[home]
    James
    I ch rappelte mich im Bett hoch, vertrieb den Schlaf, drückte mich in die Ecke und rieb mir Spinnweben aus Musik vom Gesicht. Sie klebten an mir, wunderschöne, gefährliche Fäden einer Melodie. Ich kratzte daran, bis ich merkte, dass da gar nichts war und ich im Begriff war, mir mein gutes Aussehen mit den Fingernägeln zu ruinieren. Nichts. Musik aus einem Traum. Musik von Nuala. Ich ließ den Hinterkopf mit einem Knall gegen die Wand fallen, der ein paar Hirnzellen abgetötet haben dürfte.
    Allmählich hasste ich die Morgenstunden.
    Und das Telefon klingelte und ließ eine Armee militanter Miniaturzwerge mit ihren Hämmern auf die Innenseite meines Schädels los. In diesem Augenblick hasste ich das Telefon – nicht nur das in meinem Zimmer, sondern sämtliche Apparate, die jemals vor dem Mittag geklingelt hatten.
    Ich stürzte aus dem Bett und zog ein Paar Jeans an. Pauls Bett war leer.
    Noch immer war ich in der Musik gefangen, im Schlaf, in schierer Erschöpfung. Ich hielt mir die Stirn und gab schließlich nach. »Hallo?«
    »James?« Die Stimme klang angenehm und schrecklich vertraut. In meinem Magen kribbelte das Gefühl unmittelbar bevorstehender Demütigung.
    Ich klemmte mir das Telefon zwischen Ohr und Schulter und begann mir die Schuhe zuzubinden. »Wie immer.«
    »Hier spricht Mr.Sullivan.« Im Hintergrund hörte ich Gelächter. »Ich rufe aus dem Englischunterricht an.«
    Mist, verdammt, zum Teufel und so weiter. Ich sah auf den Wecker, der behauptete, es sei kurz nach neun. Der Wecker musste lügen, denn Paul wäre nie ohne mich losgegangen. »Logisch«, sagte ich und schlüpfte hastig in den anderen Schuh. »Da Sie ja immerhin Englischlehrer sind.«
    Sullivans Stimme klang immer noch sehr freundlich. »Das dachte ich auch. Also, deine Mitschüler und ich haben uns gefragt, ob du uns heute Gesellschaft leisten würdest?« Weiteres Lachen ertönte.
    »Haben Sie mich auf Lautsprecher gestellt?«
    »Ja.«
    »Paul, du Mistkerl von einem Verräter!«, schrie ich. An Sullivan gewandt, fügte ich hinzu: »Ich habe nur noch rasch meine Wimpern getuscht und dabei wohl die Zeit ganz vergessen. Ich komme augenblicklich.«
    »Du hast gemeint, ich soll schon vorgehen!«, rief Paul im Hintergrund. Ich konnte mich nicht daran erinnern, so etwas gesagt zu haben, aber es klang nach mir.
    »Freut mich, das zu hören«, sagte Sullivan. »Ich hatte eigentlich vor, dich so lange von deinen Klassenkameraden ärgern zu lassen, bis du dich bereit erklärst, herüberzukommen. Aber so geht es natürlich viel leichter.«
    »Ihren faszinierenden Unterricht würde ich nicht um alles Geld der Welt verpassen wollen«, versicherte ich ihm. Ich richtete mich auf, wirbelte herum und versuchte festzustellen, woher der Blumenduft kam. »Ihre klugen Vorträge und Ihr strahlendes Lächeln bilden den Höhepunkt meiner Tage hier an der Thornking-Ash, wenn ich das anmerken darf.«
    »Das kann ich nie oft genug hören. Also bis gleich. Sagt schön auf Wiedersehen zu James, Leute.«
    Die Klasse brüllte mir zum Abschied zu, und ich legte auf.
    Erneut drehte ich mich im Kreis, denn ich hatte immer noch das Gefühl, nicht allein im Zimmer zu sein. »Nuala.« Ich wartete. »Nuala, bist du noch hier?«
    Stille. Nichts war so still wie das Wohnheim, wenn wir alle Unterricht hatten. Ich wusste nicht, ob sie hier war, aber ich sprach trotzdem mit ihr. »Wenn du da bist, hör mir gut zu. Verschwinde endlich aus meinem Kopf. Ich will deine Träume nicht. Ich will nichts von dem, was du mir anbietest. Geh weg.«
    Es kam keine Antwort, doch der Duft von Sommerrosen hing weiterhin in der Luft, völlig fehl am Platze in unserem unordentlichen Zimmer. Es war, als wüsste sie, dass ich log. Ich schnappte mir einen Stift von der Kommode, fand eine leere Stelle Haut am Ansatz meines Daumens, schrieb
Exorzismus
darauf und zeigte das Wort dem Raum, damit sie es sah. Und damit ich es nicht vergaß. Dann schnappte ich mir meinen Rucksack und ließ den Duft von Nuala zurück.
     
    »James«, sagte Sullivan freundlich, als ich

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