Mitternachtskinder
auf der Hüfte saßen, dass ich an einem ihrer Hüftknochen eine glänzende Narbe unter dem Top hervorlugen sah.
Ich muss sie wohl angegafft haben, oder sie hatte meine Gedanken gelesen, denn Nuala sagte: »Ich gebe zu, dass mir mein Aussehen dieses eine Mal sogar gefällt. Normalerweise ist es euch tragischen talentierten Musikern ja lieber, wenn ich ganz zart und fad aussehe.« Sie kniete sich neben meinen Instrumentenkoffer und schaute hinein, ohne irgendetwas anzufassen. »Aber du willst, dass ich richtig heiß aussehe, und das gefällt mir.«
Ich kniete mich ebenfalls hin und tat so, als fummelte ich an meinem Rohrblatt herum, wobei ich meinem Publikum den Rücken zuwandte. Noch immer konnte ich nichts sagen, ohne dass die anderen es gehört hätten, aber nun sah ich zumindest nicht mehr aus wie ein Idiot, der ins Leere starrte.
Nuala hockte sich auf die Fersen, so dass die Knie durch ihre löchrigen Jeans lugten, und grinste mich an. »Erzähl mir nicht, dass es dir nicht gefällt, wie ich aussehe.«
Sie sah zum Anbeißen aus, doch darum ging es nicht. Es war irgendwie unheimlich, dass sie sich eigens so anzog, um mich anzumachen.
»Nicht nur meine Klamotten«, sagte Nuala. Ein unangenehmer Schreck durchfuhr mich, als ich merkte, dass sie keinen Schatten warf. »Mein Gesicht. Ich sehe nur so aus, weil du willst, dass ich so aussehe. Das ist so bei Leuten wie dir – wenn ich in deine Nähe komme, verändere ich mich so, dass ich anziehender auf dich wirke. Dagegen kann ich gar nichts tun. Und glaub mir, manchmal ist es wirklich grässlich, was für Phantasien Musiker haben. Aber dieses eine Mal habe ich das Gefühl, dass ich von außen genauso erscheine, wie ich mich von innen sehe.«
Aber ich wollte gar nicht, dass sie irgendwie aussah. Ich wollte nur, dass sie verdammt noch mal von meinem Hügel verschwand.
»In Wahrheit willst du mich hier haben, sonst würde ich nicht immer wiederkommen.« Nualas Lächeln war eher ein Zähnefletschen.
»Mache ich dich nervös, James?«, rief Sullivan.
»Bilden Sie sich bloß nichts ein!«, erwiderte ich. Ich steckte die Spielpfeife wieder in den Balg, stand auf und kehrte Nuala den Rücken zu. Ich hatte Angst, sie könnte recht haben: dass ich von meiner Musik so besessen sein könnte, dass ich irgendwann einknicken und um ihre Hilfe betteln würde.
Ich schulterte die Pfeifen und spielte einen Strathspey, eine traditionelle Volksweise, die schwierig genug war, um mich von Nuala abzulenken. Meine Verzierungsnoten auf E waren heute Mist; am Ende des Liedes spielte ich eine ganze Reihe davon nacheinander, bis sie klarer klangen.
»Sie klingen gut. Du bist zwanghaft kritisch. Du bist verdammt brillant, wie an jedem anderen Tag auch«, sagte Nuala direkt in mein Ohr. Ich hielt ganz still, während sie mir beim Sprechen ihren blumigen Atem ins Gesicht blies. »Ich hab einen Tipp für dich, ganz umsonst, du Arschloch. Bitte Eric, seine Gitarre zu holen. Das ist nicht geschummelt, oder? Nur ein kleiner Vorschlag. Entweder nimmst du ihn an, oder du lässt es eben sein.«
Ich zögerte. Ich sah zu, wie die weißen Wolken über die Hügelkuppe hinwegrasten, riesige, hoch aufragende, geheime Länder aus Weiß und Hellblau. Mein Blick folgte den Schatten, die sie auf die endlosen Hügel warfen. Es war tatsächlich kein Schummeln. Und kein Ja.
»Eric«, meinte ich, und Nualas Lippen verzogen sich freudig. »Warum holst du nicht deine Gitarre?«
Eric blickte von seinem Buch auf, und die Freude auf seinem Gesicht war viel einfacher und unschuldiger als Nualas Lächeln. »Ja, Mann. Bin gleich wieder da!«
Damit sprang er auf und lief zur Schule zurück. Solange er weg war, spielte ich so fröhliche und ellenlange Tanzlieder, dass Nuala nichts mehr sagen und mich nur finster anstarren konnte, weil ich sie zum Schweigen zwang.
Dann sah ich Eric langsam den Hügel heraufkommen, den alten Gitarrenkoffer in der Hand, und neben ihm ging ein Mädchen, das seinen Verstärker trug. Das Grinsen, das sich über mein Gesicht auszubreiten drohte, brachte mich dazu, mit dem Spielen aufzuhören. Nuala irrte sich. Wenn sie wirklich so aussehen wollte wie meine Traumfrau, dann hätte sie genau so aussehen müssen wie das Mädchen, das da mit Eric den Hügel heraufkam.
Mit von der Sonne und vom Aufstieg roten Wangen grinste Dee mich an und fragte ein wenig atemlos: »Meinst du, du könntest nächstes Mal nicht ganz so weit weg von der Schule üben?«
Als ich an diesem Abend auf der
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