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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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eine
wissende
Miene, als hätte Sullivan ihn gewarnt, dass ich ein Klugscheißer war, oder als hätte ich irgendeine andere Erwartung erfüllt, die er an mich als Klugscheißer hatte. Das fand ich nicht angenehm.
    »Nun, du hast bereits festgestellt, dass unser Sackpfeifenlehrer nicht den Anforderungen entspricht«, meinte er.
    Ich dachte über mehrere Antworten nach, zuckte dann aber nur leicht mit den Schultern.
    Normandy schraubte eine Colaflasche auf und trank einen Schluck daraus, ehe er sie auf seinen Schreibtisch stellte. »Weshalb du dich jetzt natürlich fragst, warum wir dich überhaupt an der Thornking-Ash haben wollen.«
    »Ja, tatsächlich habe ich mich das schon gefragt. Obwohl ich mich natürlich trotzdem geschmeichelt fühle.«
    »Wie kommt deiner Meinung nach deine Freundin Deirdre hier zurecht?«
    Blitzartig überzog eine Gänsehaut meine Arme, und meine Stimme klang schärfer, als ich beabsichtigt hatte. »Ist sie der Grund, weshalb ich hier bin?«
    Mit beiden Mittelfingern schob Normandy ein paar Unterlagen auf dem Schreibtisch hin und her, eine Geste, die eigenartig zierlich wirkte. »Was meinst du, was für eine Schule wir sind, James?«
    »Eine Musikschule«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass das nicht die richtige Antwort war.
    Weiterhin schob er die Papiere herum, ohne mich anzusehen. »Wir interessieren uns für Musik, so wie Ärzte sich für Fieber interessieren. Wenn sie ein Fieber bemerken, sind sie ziemlich sicher, dass es eine Infektion geben muss. Wenn wir Kinder mit herausragender musischer Begabung sehen, sind wir ziemlich sicher, dass …«
    Normandy schaute zu mir auf und wartete offenbar darauf, dass ich den Satz beendete.
    Stumm hielt ich seinem Blick stand. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er tatsächlich das meinte, wovon ich glaubte, dass er es meinte. Was hatte Sullivan noch gleich gesagt – dass an den Lehrern mehr dran war, als man auf den ersten Blick vermutete?
    »Was wollen Sie jetzt von mir hören?«, erkundigte ich mich.
    Normandy konterte mit einer weiteren Frage. »Woher hast du diese Narbe? Die ist wirklich prachtvoll. Dein ›Unfall‹ stand in der Zeitung. Ich habe den Ausschnitt bei deinen Bewerbungsunterlagen aufbewahrt.«
    Ich schluckte, und als ich sprach, merkte ich überrascht, dass ich argwöhnisch klang. »Was wollen Sie von mir?«
    »Ich will, dass du mir Bescheid sagst, wenn du irgendetwas Merkwürdiges beobachtest – und ganz besonders, wenn Deirdre Monaghan etwas Seltsames mitbekommt. Wir sind aus gutem Grund hier.« Er stieß mit dem Zeigefinger auf seinen Schreibtisch, um diese Worte zu unterstreichen. »Wir wollen dafür sorgen, dass Kinder wie du und Deirdre es erfolgreich ans College schaffen. Ohne … Störungen.«
    Mit den Handflächen rieb ich über meine Gänsehaut. »Warum sagen Sie mir das?«
    »Mr.Sullivan hat dich spielen gehört. Er meint, du seiest gut genug, um die falsche Art von Aufmerksamkeit zu erregen. Und Deirdre habe ich selbst schon gehört, daher weiß ich, wie gut sie ist.«
    Es klang seltsam, dass er sie ständig Deirdre nannte statt Dee. Wie konnte jemand, der sie nicht einmal gut genug kannte, um sie Dee zu nennen, irgendetwas von ihren Problemen wissen? »Ich sage Ihnen Bescheid«, erklärte ich. Eine lange Pause entstand. »Ist das alles?«
    Normandy nickte leicht, und ich stand auf. Er blickte zu mir hoch. »Ich weiß, dass du nicht über
sie
sprechen willst. Und das solltest du auch nicht. Dir brauche ich nicht zu sagen, dass es nicht gut ist, offen über
sie
zu reden. Aber bitte sag es Patrick – Mr.Sullivan –, falls du
ihn
siehst.«
    Ich teilte ihm nicht mit, was ich dachte. Es war nicht so, dass ich ihm nicht traute – ich traute ihm nur nicht zu, dass er hilfreich sein könnte. Die Erwachsenen, die diesen Sommer von den Feen gewusst hatten, hatten überhaupt nichts getan oder alles nur noch schlimmer gemacht.
    »Danke, dass Sie sich Gedanken um uns machen«, sagte ich höflich.
    Das war mein erster und einziger Besuch in seinem Büro.

[home]
    Nuala
    Der Schlaf hat einen eigenen Rhythmus, hat seine Melodie
    Wie der Tod, mal still, mal lauter werdend
    In schöner Harmonie, nur beinahe erinnert
    Wenn man aus dem einen oder dem anderen flieht.
    Aus Die Goldene Zunge:
Gedichte von Steven Slaughter
    J ames schlief viel. Man brauchte kein Gehirnchirurg zu sein, um dahinterzukommen, dass er schlief, wenn er gelangweilt oder unglücklich war oder sich einredete, dass er nicht unglücklich sei. Er schlief

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