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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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stank nach glimmendem Thymian und brennendem Laub, nach Beschwörungszaubern und Halloween-Feuern.
    »O«, sagte er im Traum, nur ein kurzer Laut, kein Wort. Er hockte sich ins Laub und barg das Gesicht in den beschriebenen Händen, während seine Schultern sich wie in Trauer krümmten. Er war ein dunkler Fleck in einem Meer aus toten Blättern. Neben ihm lag mein eigener Körper im Laub. Über James’ Schulter hinweg konnte ich eine weitere Eisenstange sehen, die seitlich aus meinem Gesicht ragte, und meine Augen starrten die Unendlichkeit an.
    Der echte James zitterte – ein heftiges Schaudern, bei dem es seinen ganzen Körper schüttelte, und ich hatte nur einen Gedanken:
Er ist ein Seher. Was, wenn er da die Zukunft sieht?
    Ich drehte mich um, starrte in sein schlafendes Gesicht, das ich in der Düsternis kaum erkennen konnte, und wollte nur, dass er zu träumen aufhörte. Er war mir so nahe, dass ich seinen Atem warm auf den Lippen spürte. Von so nah konnte ich die hässlich verworfene Narbe über seinem Ohr deutlich sehen und erkennen, wie groß die Wunde gewesen sein musste, ehe sie ihn wieder zusammengeflickt hatten. Ein Wunder, dass ihm nicht das Gehirn aus dem Kopf gefallen war. Stirnrunzelnd schaute ich ihn an. Ich wusste, dass er dringend Schlaf brauchte, weil er die ganze letzte Nacht auf gewesen war, aber ich musste ihn wach haben.
    Ich kniff ihn in den Arm.
    James zuckte nicht, fuhr nicht zusammen oder zögerte auch nur einen Moment. Er öffnete einfach die Augen und sah aus zwei Fingerbreit Entfernung direkt in meine.
    Als er sprach, war die Stimme kaum hörbar. Jeder Laut diente sowieso nur dazu, so zu tun, als müsste er seine Gedanken auch für mich aussprechen. »Du bist nicht tot.« Sein Verstand war noch umwölkt, langsam, schlaftrunken.
    Ich schüttelte den Kopf, und das Laken raschelte leise unter meinem Ohr. »Noch nicht.«
    James’ Lippen bewegten sich, und er atmete mehr, als dass er sprach. »Was willst du?«
    Aber es klang nicht wie zuvor. Als er mir diese Frage das letzte Mal gestellt hatte, hatte da deutlich ein
von mir
mitgeklungen. Heute Nacht nicht.
    Ich zog seinen Arm unter dem Kopfkissen hervor, und seine Haut spannte sich vor Kälte, als meine Finger sein Handgelenk umklammerten. Er ließ mich seinen Arm nehmen und um meine Schultern legen, so dass sein eisernes Armband sich an meinen Oberarm drückte. Davon wurde mir ein wenig schwindelig, aber im Gegensatz zu anderen Feen brachte es mich nicht um. Und es würde mich gegen weitere Beschwörungszauber schützen.
    James dachte:
Warum?
Doch er sagte nichts.
    Ich presste sein Handgelenk so fest an mich, dass das Eisen reichlich Kontakt zu meiner Haut hatte. »Damit ich nicht gehorchen muss, falls jemand versucht, eine Fee zu beschwören.«
    Noch immer schwieg James und bewegte nur die Schultern nach vorne, damit die Haltung bequemer für ihn war.
    »Bring mich nicht um«, flüsterte er. »Ich schlafe jetzt weiter.«
    Das tat er. Und mit dem heißen Brennen der knubbeligen Enden seines Armreifs auf meiner Haut schlief auch ich ein. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass ich schlafen konnte.
    Neue Textnachricht
    An:
    James
     
    Luke war hier. Erst wollte ich gar nicht glauben, dass er es war, weil er so seltsam aussah. Zu lebendig oder so. Zu strahlend u. wach. Aber es war phantastisch, ihn wiederzusehen. Er hat mich geküsst u. gesagt, dass er mich vermisst, aber das glaube ich nicht. Ich glaube, er wollte mich jetzt, u. das ist nicht dasselbe.
     
    Absender:
    Dee
     
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[home]
    James
    J ames?«
    Ich lag mit dem Gesicht nach unten im Kissen. Ohne mich weiter zu bewegen, drückte ich mir das Handy ans Ohr. »Mmm. Ja. Was.«
    »James, bist du das?«
    Ich rollte mich auf den Rücken und starrte das blasse Morgenlicht an, das in Streifen an die Decke fiel. Das Telefon rückte ich so zurecht, dass ich nicht aus Versehen auflegte. »Mom, warum fragst du eigentlich jedes Mal, wenn du mich auf meinem Handy anrufst, ob ich auch wirklich dran bin? Hast du mir bisher verschwiegen, dass du dich schon hunderte Male verwählt und
fast
meine Nummer erwischt hast, aber ganz genau hat sie nicht gestimmt, und dann hast du Typen am Telefon, die fast ich sind, aber nicht ganz genau?«
    »Deine Stimme klingt am Telefon nie gleich«, entgegnete Mom. »Jetzt klingst du ganz nuschelig. Hast du etwa einen Kater?«
    Mit einem schweren

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